Ulysses Moore – Das Labyrinth der Schatten
aufgeregt, weil ich doch alle seine Bücher gelesen habe … Und jetzt finde ich es ganz schön spannend, nur wenige Schritte entfernt von seinem berühmten Motorrad zu stehen.«
»Ach das!«, meinte Julia leichthin. »Die alte Schrottmühle.«
»Also, ich weiß nicht, was ich darum geben würde, mal eine Runde auf der alten Schrottmühle mitfahren zu dürfen.«
Ohne es sich so richtig erklären zu können, ärgerte sich Julia über diese Antwort. Sie hatte von Anita erfahren, dass es Bücher gab, die Ulysses Moore geschrieben hatte und in denen es um Kilmore Cove, die Schlüssel und die Türen zur Zeit ging und auch um sie und ihren Bruder. Es war ihr ziemlich unangenehm, dass irgendjemand auf diese Weise ihr Leben öffentlich bekannt gemacht hatte.
Aber schließlich konnte Tommaso nichts dafür. Geduldig erklärte sie ihm noch mal, dass er den Namen ›Ulysses Moore‹ in Kilmore Cove niemals nennen durfte. »Niemand weiß, dass er das ist. Es ist ein Geheimnis.«
Der Junge aus Venedig war sehr bestürzt darüber, dass er so gedankenlos den Namen von Ulysses Moore ausgesprochen hatte. »Okay. Ich verspreche, es nie wieder zu tun. Wie soll ich ihn denn nennen?«
Tommaso war vor ungefähr zwanzig Minuten in dem langen schwarzen Mantel und mit der Vogelmaske vor dem Gesicht auf der Küstenstraße von Kilmore Cove aufgetaucht. Mantel und Maske hatten dem Grafen Cenere aus dem Venedig des Jahres 1751 gehört. Trotz seines seltsamen Aufzugs war Tommaso bei dieser ersten Begegnung keineswegs verlegen gewesen. Er hatte gesagt, er habe sich die Stadt wesentlich kleiner vorgestellt und er hätte entdeckt, wie die Türen zur Zeit konstruiert worden waren.
Julia hatte beschlossen, ihm lieber nicht allzu viele Fragen zu stellen, und ihn zu der Stelle mitgenommen, an der sie sich mit Nestor verabredet hatte. Auch sie hatte etwas ganz Besonderes dabei: ein in Leder gebundenes Notizbuch, von dem nur wenige Seiten beschrieben oder mit Abbildungen versehen waren, das aber trotzdem ein sehr wichtiges kleines Buch war.
»Nenne ihn doch einfach so wie wir: Nestor.« Mit gesenkter Stimme fügte sie hinzu: »Und du musst ihn duzen, sonst kommt er sich so alt vor. Und vergiss den anderen Namen am besten gleich wieder. Ulysses Moore ist tot und begraben.«
Verwirrt sah Tommaso sie an. »Aber warum … warum …?«
»Warum was?«
»Warum sollen denn dann alle Bücher über Kilmore Cove angeblich von Ulysses Moore geschrieben worden sein?«
»Ich habe keine Ahnung. Und ich glaube auch nicht, dass dies der richtige Moment ist, um darüber zu sprechen.«
»Okay, es ist nur …« Tommaso sah die Straße hinunter, die zu dem kleinen Hafen und dann immer weiter an der Küste entlangführte. Er schien zu überlegen, wie er fortfahren sollte. »Es kommt mir alles so verrückt vor. Ich meine, ich habe seine Bücher gelesen, oder besser gesagt, ich habe sie verschlungen. Ich hätte nie geglaubt, ihm einmal tatsächlich zu begegnen. Ich habe ihn mir immer wie eine Romanfigur vorgestellt, nicht wie einen richtigen Menschen aus Fleisch und Blut.«
»Der außerdem auch noch so eine alte Schrottmühle fährt«, ergänzte Julia.
»Der so eine legendäre alte Schrottmühle fährt«, verbesserte Tommaso Ranieri Strambi sie.
»Nestor, das hier ist Tommaso.«
Der Gärtner der Villa Argo verstand nicht ganz, warum ihm der Junge vorgestellt wurde. Er war soeben von Leonard Minaxos Leuchtturm zurückgekehrt und hatte dort nicht viel ausrichten können. Der Leuchtturmwärter und seine Frau Kalypso reisten wer weiß wo herum, und Nestor konnte nur hoffen, dass sie nicht wieder einmal versuchten, etwas über die Erbauer der Türen herauszufinden.
»Er ist der Freund von Anita«, erklärte Julia, die gemerkt hatte, dass Nestor mit der ersten Information nichts anfangen konnte.
Nestor sah sie nur finster an. Genauso finster wie vorhin oder noch etwas finsterer.
»Er ist soeben aus Venedig gekommen«, fuhr Julia fort. »Aus dem Venedig.«
»Welches Venedig meinst du genau?«, knurrte der alte Mann.
»Ich komme direkt aus dem Haus der Spiegel, Sir«, antwortete Tommaso an Julias Stelle. »Und ich bin sehr froh darüber, dass es doch nicht vollkommen zerstört wurde.«
Langsam nahm Nestor den Motorradhelm ab. Der Wind fuhr ihm durch das weiße Haar. Schweigend sah er zum Meer hinüber.
»Die Tür war offen«, erklärte Tommaso weiter. »Ich wohne in Venedig. Ich meine, ich wohne heute in Venedig. Ich komme nicht aus dem Jahr 1751 wie Ihre Frau,
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