Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel
ein Beispiel, lieber Gast.« Seine Frau verhinderte das.
Stefan Zweig war ein großer Europäer. Heutzutage ist es für einen Schriftsteller höchst selten, daß er mal einen Kollegen trifft. Wenn man liest, wen Zweig kannte und mit wem er korrespondierte, Maxim Gorki, James Joyce, Frans Masereel, Walter Rathenau, Rabindranath Tagore, Hugo von Hofmannsthal, Thomas Mann, Paul Valéry, Sigmund Freud, Albert Schweitzer, Arturo Toscanini …
Romain Rolland ließ ihn übrigens ganz schön abfahren, als Zweig sich über die Zustände in Sowjetrußland aufregte.
Die Hellsichtigkeit, die er im Ersten Weltkrieg an den Tag legte (mit Rilke arbeitete er im österreichischen Kriegsarchiv), seine skeptische Haltung inmitten des allgemeinen Kriegsjubels, verließ ihn auch am Beginn der Nazizeit nicht. Nach einigen Jahren in London, unterbrochen von Vortragsreisen nach Amerika und immer mal wieder Portugal oder Nizza (früher war er nach Warnemünde gefahren oder nach Sylt), verließ er zusammen mit seiner Frau im Juli 1940 in der dritten Klasse des Passagierdampfers »Scythia« den alten Kontinent. Unter entwürdigenden Umständen hatte er um Visum und Überfahrt kämpfen müssen (ohne Visum keine Fahrkarte, ohne Fahrkarte kein Visum), repräsentativ für das Schicksal der Emigranten. Erst das Palästinensische Reisebüro half.
In den Bergen nördlich von Rio de Janeiro, in Petropolis, fand er eine letzte Behausung. Dort beendete er seine Autobiographie und die »Schachnovelle«. Aber Schwermut und Verzweiflung hatten ihn längst ergriffen: »Wie kann ich atmen, schlafen, essen, wie kann ich arbeiten, wenn ich weiß, daß die sinnloseste Zerstörung am Werke ist, daß Tausende und Abertausende unschuldiger Menschen von ihr dahingerafft werden.« – Im Februar 1942 besuchte er noch einmal den Karneval in Rio, wenige Tage später nahm er zusammen mit seiner Frau eine Überdosis Veronal.
Ich weiß nicht, ob man es als taktlos empfinden soll oder sogar als gemein, daß die Fotos des Entschlafenen um die Welt gingen. Ich finde aber, daß diese Bilder den Eindruck, den wir von ihm haben, wesentlich fixieren. Stefan Zweig war einer derjenigen, die die Zeit vor dem ersten Krieg bewußt erlebt haben, »Die Welt von gestern«, so der Titel seiner Autobiographie. »Kein einziges Mal ist ein Sturm oder nur eine scharfe Zugluft in ihre warme, behagliche Existenz eingebrochen«, schrieb er über seine Eltern. Er legt Zeugnis ab von der Ruhe und Sicherheit der alten Ordnung, die in den Schützengräben von 14/18, in Revolution und Inflation unterging.
1. Auflage
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