Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel
mal als Streithammel bezeichnet. Mag sein, daß das zutrifft, mag sein, daß er manchem etwas zumutete. Er selbst wurde indessen auch nicht geschont, vielleicht weil man dachte, wer austeilt, kann auch einstecken. Mit Reich-Ranicki hat er sich ja auch angelegt, was ihm nicht bekommen ist.
Seit mehr als vierzig Jahren hat Martin Walser in einer Vielzahl von sanguinisch beflügelten Publikationen – Romanen, Erzählungen, Theaterstücken, Gedichten, Essays und Zeitungsartikeln – die innere und äußere Entwicklung unserer Republik begleitet. Dafür verlieh man ihm den Preis der Gruppe 47, den Hermann-Hesse-, Gerhart-Hauptmann-, Schiller-, Ricarda-Huch-, Friedrich-Hölderlin-, Büchner-, Dolf-Sternberger-Preis, den Bodensee-Literaturpreis, die Heine-Plakette, den Großen
Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, die Zuckmayer- und die Wilhelm-Heinse-Medaille, den Literaturpreis der Stadt Wurzach, den Franz-Nabl-Preis der Stadt Graz, den Friedenspreis des deutschen Buchhandels, die Ehrendoktorwürde der Universitäten Konstanz, Dresden, Hildesheim und Brüssel, das große Verdienstkreuz mit Stern, den Orden Pour le mérite und den französischen Kulturorden »Arts et Lettres«. Außerdem war er Gastdozent an den Universitäten von Middlebury, Texas, Essen, Dartmouth, Hannover, New Hampshire und Berkeley. Im letzten Jahr kam er in der Liste einer Illustrierten auf Platz sieben der fünfhundert wichtigsten Deutschen des Jahres. Dann kann er doch so ganz falsch nicht liegen.
Robert Walser
Jeder hat ja so seine privaten Gedenkjahre. Für mich ist 1956 wichtig, weil ich im März aus dem Zuchthaus Bautzen entlassen wurde. Es war dasselbe Jahr, in dem Robert Walser, diese freundliche, tragische Lichtgestalt in der deutschsprachigen Literatur, starb, am Weihnachtstag auf einem einsamen Spaziergang bei Herisau im Kanton Appenzell. Zwei Jungen fanden ihn im Schnee. Der Gedanke, daß man ihn hätte besuchen können in diesem kostbaren halben Jahr, hat mich dem Dichter und seinem Werk gegenüber stets in einer aufgeschlossenen Bereitschaft gehalten.
Auch wer nicht alle seine Texte liest, die Gedichte, die kleineren Prosastücke oder die Dramolette, den wird die Entzifferung seiner hinterlassenen Mikrogramme 53 anrühren. Ein bis zwei Millimeter sind die Buchstaben der Sütterlinschrift groß. Eine solche akribische Bemühung um
das Werk eines Schriftstellers muß das eigene Leseinteresse immer anfeuern.
Eine ausgesprochen schöne Handschrift hatte der gelernte Bankangestellte, den es 1905 aus der Schweiz nach Berlin zog. Bei seinem Bruder Karl wohnte er, der als Maler und als Bühnenbildner für Max Reinhardt erfolgreich war und die unvergeßlichen Buchillustrationen zu Palmström schuf. Wer einmal etwas Interessantes lesen will, der sollte sich die Briefe Christian Morgensterns an Walser zu Gemüte führen, in denen er dem Schweizer Debütanten die Satzkorrektureichen erklärt.
Bis 1913 lebte und schrieb er in Berlin, die produktivsten Jahre seines Schaffens, unterbrochen nur von einem wenige Monate währenden Intermezzo als Diener auf einem Schloß in Schlesien, ein Jugendtraum.
Nach seiner Rückkehr in die Schweiz hat er trotz respektabler Erbschaften auch wieder einen Bürojob angenommen. Walser kannte sich aus in der Welt der Angestellten, und er hat der Gestalt des »Kommis« mit seinem Roman »Der Gehülfe« ein unvergängliches Denkmal gesetzt. 1929 wurde er in eine Heilanstalt eingewiesen. Er sei in seinem Verhalten auffällig geworden, so behauptete seine Zimmerwirtin, habe schwere Angstzustände und höre Stimmen, die ihn verspotteten. Eine schwere Depression war die Ursache. Walser war als Schriftsteller verstummt.
Der liebenswerte Journalist Carl Seelig kümmerte sich
um ihn, brachte dem Mittellosen Tabak mit und lud ihn zu Kaffee und Kuchen ein. 54 Leider gibt es einen sonderbaren Film über die gemeinsamen Spaziergänge, in dem Walser, von einem Schauspieler dargestellt, in einer Weise sich benimmt, wie die Welt ihn sicher nie gesehen hat.
Christoph Martin Wieland
Gesamtausgaben haben ja oft eine makabre Wirkung. Ihr abschließender Charakter: ein für allemal: Nun ist es genug! stößt Leser zurück. Die große »Ausgabe von der letzten Hand«, noch zu Lebzeiten Wielands bei Georg Joachim Göschen in Leipzig erschienen, zählt neununddreißig Oktavbände. Vielleicht ist das ein Grund, weshalb er nicht mehr gelesen wird. Aber ein Nationalautor war er so recht eigentlich nie, dieser
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