Und da kam Frau Kugelmann
Schuhfabrik stammen, weil ältere Damen in Israel auf orthopädische Schuhe aus Deutschland schwören.
Zumindest hieß sie früher Kugelmann, vor langer Zeit, als sie noch in Polen wohnte und jeder seinen eigenen Namen behalten durfte. Bis zu dem Tag, als ihr Name dann lautlos hinter einer Nummer verschwand.
Aber auch in der Zeit danach, nach der Befreiung, war Frau Kugelmanns Name noch gefährdet. Bei der Einwanderung nach Israel wollte man ihr den schönen Namen Kugelmann, der ihr so gut zu Gesicht stand, abnehmen und ihn durch einen neuen, einen hebräischen, ersetzen, mit dem sie dann, wie von einem Zauberstab berührt, ein völlig neues Leben beginnen sollte.
Vielleicht hat Frau Kugelmann es abgelehnt, ihren Namen abzulegen, und der Regierung geschrieben: Sehr verehrter Herr Ben Gurion, auch wenn Sie der allererste Ministerpräsident von Israel sind und einen schönen neuen Namen tragen, ich will meinen alten Namen behalten, weil mein Name so gut zu mir passt. Vielleicht hat sie dem Brief noch ein Bild von sich beigefügt, um den Ministerpräsidenten zu überzeugen. Und das Bild hat den Präsidenten überzeugt, der Präsident hat die Einwanderungsbehörde angewiesen, Frau Kugelmann vorzuschlagen, statt ihr einen vollkommen neuen Namen zu geben, nur das Wort Kugel zu hebräisieren und das Wort Mann am Ende durch Ben, Sohn, zu ersetzen. Dann hieße Frau Kugelmann fortan Ben Kadur, Sohn einer Kugel, und dieser Name wäre dann seinem eigenen, Ben Gurion, Sohn von Gurion, sehr ähnlich, und mit einem solchen Namen könnte Frau Kugelmann doch zufrieden sein und in Israel ein gutes zionistisches Leben führen.
Frau Kugelmann hat sicher lange überlegt und dann der Einwanderungsbehörde zurückgeschrieben, dass sie Ben Gurion für den Vorschlag danke, aber warum solle sie einen Namen tragen, den sie nicht möge, und selbst wenn Ben Gurion ihr vorgeschlagen hätte, sich Tochter einer Kugel zu nennen, was er aber nicht getan hat, hätte das auch nichts geändert, der neue Name gefiel ihr einfach nicht. Und wieso sollte sie ausgerechnet mit einem solchen Namen ein neuer Mensch werden, sie könne doch auch mit ihrem alten Namen ein neuer Mensch werden und alles vergessen, was vorher gewesen war. Oder sie bleibe, was sie ist, und erinnere sich an alles, was passierte, auch daran, dass sie einst in Polen lebte, in Bendzin, und eine Schülerin des Fürstenberg-Gymnasiums war.
Und so ist sie am frühen Morgen zu mir gekommen, unangemeldet in mein sparsam möbliertes Ersatzzimmer eingedrungen mit ihrem hart umkämpften alten Namen: eine Frau, die nicht vergessen kann.
Von der Hotelleitung sei sie geschickt worden, versichert sie mir, um nachzusehen, ob das Zimmer in Ordnung sei. Sie tut so, als inspiziere sie das Bad, überprüfe Duschhaube, Seife und Toilettenpapier, den Staub in den Hängeschränken, die Sauberkeit des Aschenbechers, rückt dann aber plötzlich einen Stuhl ganz nahe an mein Bett.
»Sie sind ganz alleine hier, nicht wahr?«, fragt sie mich leise.
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Gestern bei Ihrer Ankunft in der Hotelhalle habe ich Sie beobachtet. Ich habe einen Blick für Frauen, die alleine in Hotels absteigen. Ich erkenne es an ihren Bewegungen. Alleinstehende Frauen drehen sich nicht um, sie schauen nicht nach hinten. Sie wollen nicht, dass man erkennt, dass niemand auf sie wartet.«
»Würden Sie jetzt bitte mein Zimmer verlassen«, sage ich verärgert.
»Die meisten Hotelgäste bitten mich zu bleiben.«
»Ich gehöre nicht dazu. Gehen Sie jetzt hinaus, oder ich rufe den Portier.«
Sie verlässt das Zimmer, und nach einer halben Stunde klopft es wieder.
»Ich bin noch mal vorbeigekommen. Haben Sie jetzt Zeit für mich?«, fragt sie, als ich die Tür einen Spalt öffne. Sie schiebt sich an mir vorbei ins Zimmer.
Diese Frau soll verschwinden. Ein für alle Mal, denke ich. Mit einer Handbewegung weise ich ihr die Tür.
Sie geht wieder hinaus, und ich höre, wie sie draußen umständlich einen Stuhl bis vor meine Tür rückt. Sie hockt draußen und wartet. Ich stehe auf, schaue durch das Schlüsselloch. Es ist kaum zu glauben, aber sie sitzt reglos da und wartet geduldig auf mich.
»Wie lange wollen Sie hier sitzen?«, rufe ich laut und deutlich.
»Bis Sie mich hineinlassen«, antwortet sie gelassen.
»Und was wollen Sie von mir?«
»Ich muss mit Ihnen reden.«
Sie wird keine Ruhe geben, bis ich sie eingelassen habe. Bald werden die Zimmernachbarn sich beschweren und mich für den Lärm
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