Und da kam Frau Kugelmann
Das Fischbesteck
Einen Monat nach dem Tod meiner Tante, genauer gesagt drei Stunden nach der Testamentseröffnung, informierten mich meine Verwandten über Halinas Ableben. Sie wissen, dass ich wegen meiner besonderen Essgewohnheiten fast unbeweglich bin und nicht von einem Tag auf den anderen zu einem Begräbnis nach Tel Aviv reisen kann. So hatten sie mich vergessen.
Der Anwalt, der den Nachlass meiner Tante verwaltet, hat mir mein Erbe aufgelistet: ein kleiner brauner Koffer, etwa siebzig Jahre alt, sowie ein mit rotem Samt ausgeschlagener Besteckkasten, in dem sich acht Gabeln und neun Messer eines zwölfteiligen Fischbestecks befinden.
Keines von Halinas vier Kindern begreift, warum sie mich überhaupt bedacht hat, und ich begreife nicht, warum sie mir einen alten Koffer und ein unvollständiges Fischbesteck hinterlassen hat, wo ich doch kaum reise und auch keinen Fisch anrühre. Seit meiner Kindheit weigere ich mich, Fisch zu essen. Ich wollte mit meiner Mutter, einer notorischen wöchentlichen Fischmörderin, nicht gemeinsame Sache machen. Jeden Freitagvormittag schwamm ein junger Karpfen aufgeregt in unserer Badewanne herum, bis er auf einem Holzbrett von meiner Mutter in kleine Portionen zerhackt wurde. Und ich beobachtete neugierig mit einem Anflug von Ekel jede Woche aufs Neue, wie die zerlegten Teile eine Stunde lang zuckten, als sei der Fisch noch lebendig. Nachts wünschte ich mir, die zitternden Teile würden wieder zusammenwachsen, der Fisch vom Holzbrett in die Badewanne springen und aus dem Fenster in den Fluss, um dann von der Strömung in die schlammige grüne See getragen zu werden. Von dort her käme er freitags zurück in unser Haus.
Den Koffer und den Besteckkasten hätte ich mir schicken lassen können. Aber ich will meine Erbschaft mit eigenen Händen in Empfang nehmen. Der Koffer soll mir Glück bringen, denn ich suche händeringend nach einem Ehemann. Vielleicht finde ich ihn in Tel Aviv. Vor etwa einem halben Jahr überfiel mich der brennende Wunsch zu heiraten. Aus heiterem Himmel sehnte ich mich plötzlich nach überquellendem Abwasch, endloser Bügelwäsche, und nichts erschien mir lieblicher als ohrenbetäubendes Babygeschrei. Zufällig entdeckte ich in der Nähe meiner Wohnung einen Kinderspielplatz. Entzückt beobachtete ich Kleinkinder bei ihrem unbeholfenen Spiel. Ich starrte neugierig in jeden vorbeigeschobenen Kinderwagen und konnte in kürzester Zeit bis auf den Tag genau das Alter der Kinder bestimmen. Kurz darauf erlernte ich die Babysprache. Säuglinge streckten die Ärmchen nach mir aus, Kleinkinder fingen meinetwegen das Krabbeln an oder liefen mir unsicher auf zwei wackeligen Beinchen entgegen, nur um in meiner Nähe zu sein. Stutzig wurde ich erst, als das einjährige Kind meiner Nachbarin zum Entsetzen der Eltern, mit denen ich wegen nächtlichen Lärms in Unfrieden lebe, als erstes Wort meinen schwierigen Nachnamen aussprach und mich dabei erwartungsfroh anblickte. Das ist ein Fingerzeig von meinen eigenen Kindern, sagte ich mir, sie wollen zur Welt kommen. Ich werde eine Familie gründen.
Halinas Erbschaft ist ein weiteres Zeichen. Vielleicht sehe ich am Strand einen Mann, der mir gefällt, und frage ihn, ob er gerne Fisch isst, obwohl ich einen Fisch niemals anrühren werde. Wenn er geschickt mit meinem ererbten Besteck umzugehen versteht und noch dazu schöne Geschichten erzählen kann, wie die fehlenden Fischgabeln meiner Tante verloren gingen, dann heirate ich ihn auf der Stelle.
Es wohnte bereits jemand in meinem Hotelzimmer, wusch sich an meinem Waschbecken, benutzte meine Toilette und hinterließ eine sandige Spur in meinem vorausbestellten Bett, als ich am Nachmittag, durchgeschwitzt nach einem anstrengenden Flug und mit dick geschwollenen Füßen, in dem Tel Aviver Strandhotel ankam und nach meinem Zimmer verlangte.
»Das Zimmer ist bereits vergeben«, entgegnete an jenem denkwürdigen Nachmittag bedauernd der Portier. Zwei Stunden zuvor sei eine junge Dame angekommen und habe das auf den Namen Silberberg reservierte Zimmer bezogen. Leider sei auch in den nächsten Tagen kein weiteres Zimmer frei, das er mir anbieten könne.
Was sollte ich tun, das ganze Hotel zusammenschreien und auf meinem Recht beharren, dass ich die richtige Silberberg war, die ein Zimmer für zehn Tage reserviert hatte, mitten im August, im heißesten Monat, wo die feuchtglühende Hitze sich wie ein klebriger schweißtreibender Dunst auf den Körper legt und selbst das Atmen
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