Und dann der Himmel
Am Anfang …
… ist es Sommer und es ist heiß. Die Sonne brennt an diesem Julitag erbarmungslos vom Himmel herunter. Schon seit Wochen hat es nicht mehr geregnet. Die Luft riecht nach Staub, das Gras auf den Wiesen ist braun und vertrocknet, die Erde knochenhart. Die Häuser im Dorf haben die Türen geschlossen und die Fensterläden gegen die Hitze verbarrikadiert, kein Geräusch dringt nach außen. Die Straßen sind wie leer gefegt, nur ein paar herrenlose Katzen streifen über die Bürgersteige und suchen nach Schatten unter den geparkten Autos. Auch abseits des Dorfes, dort, wo die Felder und der Wald beginnen, ist es merkwürdig still; nirgends ist das sonst übliche, unentwegte Vogelgezwitscher und das Summen von Insekten zu hören. Nicht einmal der kleinste Windhauch fährt durch das Unterholz und raschelt im Laub des vergangenen Jahres. Die Natur ist wie betäubt.
Das Ufer des kleinen Baggersees einige Kilometer entfernt ist jedoch überfüllt mit Menschen, die im Wasser und im Schatten der Bäume nach Abkühlung suchen. Am Wochenende sind vor allem junge Familien hier. Auf ausgebreiteten Decken stehen Kühlboxen bereit mit Tupperdosen voller Kartoffelsalat, kalten Koteletts und Getränken. Badehosen und Handtücher liegen zum Trocknen in der Sonne, Schwimmflügel und Kreuzworträtselhefte sind fein säuberlich in den mitgebrachten Tragetaschen untergebracht, die Geldbörsen vorsichtshalber in Schuhen versteckt. Gebrauchsgegenstände für einen Tag im Strandbad.
Die Väter verschanzen sich auf Liegestühlen, lesen Zeitung oder verfolgen mit kleinen Transistorradios die Spiele der Bundesliga. Ihre Mienen deuten an, dass sie an diesem Familienausflug nur gezwungenermaßen teilnehmen. Die Mütter stricken unermüdlich an Pullovern für den Herbst, verteilen Sonnenschutzcreme und versuchen, ihre Sprösslinge nicht aus den Augen zu verlieren. In regelmäßigen Abständen rufen sie Ermahnungen zum See, die im Geschrei und Lachen der herumtobenden Kinder untergehen, oder sie kümmern sich um den noch nicht lauffähigen Nachwuchs, der unter einem Sonnenschirm am Schnuller nuckelt. Die größeren Kinder halten sich in der Nähe des Wassers auf. Sie kraxeln auf Bäume, springen Arschbomben ins Wasser, spielen Fangen und Ball oder planschen in Ufernähe herum.
In der Mitte des Baggersees, wo das Wasser eine Tiefe von mehr als vier Metern besitzt, ist ein Ponton aus Holz verankert, den man nur erreicht, wenn man schwimmen kann oder zumindest eine Luftmatratze hat. Dorthin haben sich die Teenager zurückgezogen, damit sie so weit wie möglich außer Sichtweite ihrer Eltern sind. Hier sonnen sie sich, rauchen Zigaretten, die sie heimlich in wasserdichte Hüllen unter ihre Badehosen geklemmt haben, und üben Kopfsprünge von den Holzplanken, um die anderen zu beeindrucken. Beliebt sind auch kleine Raufereien, bei denen die Jungen die Mädchen unter allgemeinem Gelächter ins Wasser werfen oder sie unter die Oberfläche tunken. Gemeinsame Sache machen die Jugendlichen aber immer dann, wenn es darum geht, ihre Insel gegen Eindringlinge zu verteidigen, wie zum Beispiel kleinere Kinder, die sich neugierig zum Ponton vorwagen.
Eines dieser Kinder, ein Junge, nähert sich langsam und etwas ängstlich den Planken. Er hat den schmalen, unfertigen Körper eines Siebenjährigen und ein paar Sommersprossen auf der Nase. Die rotblonden Haare kleben nass an seinem Kopf und auf seinem Rücken pellt sich die Haut. Von seinem Vater hat er den Auftrag erhalten, seine Schwester zurückzuholen. Der Nachmittag neigt sich dem Ende zu und die Familie möchte aufbrechen. Besonders gut schwimmen kann der Junge noch nicht, deshalb hat er sich auf seine blaugrün gestreifte Luftmatratze gelegt und paddelt mit Händen und Füßen.
Als er in Rufweite ist, schreit er den Namen seiner Schwester, aber das Mädchen ignoriert ihn mit einer genervten Grimasse und dreht ihm den Rücken zu. Sie und ihre Freunde finden es peinlich, an Familienverpflichtungen erinnert zu werden. Außerdem sitzt neben ihr ein Junge, für den sie sich schon seit langem interessiert und der ihr an diesem Nachmittag erstmals seine Aufmerksamkeit geschenkt hat.
Ihr Bruder ist unschlüssig, was er jetzt tun soll. Kehrt er unverrichteter Dinge ans Ufer zurück, wird sein Vater verärgert sein, schwimmt er noch näher an das Holzfloß heran, bekommt er Krach mit seiner Schwester. Der Junge entscheidet sich für das kleinere Übel und dockt zaghaft an dem Ponton an. Noch
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