Und die Toten laesst man ruhen
überflüssig sein. Der gute Willi! Immer hoffnungsvoll, immer optimistisch.
Ich nahm ein paar größere Scheine heraus und überflog die Abrechnung. Buchführung war nicht Willis Stärke. Meine allerdings auch nicht. Besonders kritisch beäugte ich die Ankäufe. Am Anfang unserer Zusammenarbeit waren da einige peinliche Pannen passiert. Ein Briefmarkenhändler, der sich von Bluffern übers Ohr hauen lässt, hat seinen Ruf in der Stadt schnell verspielt. Seitdem hatte Willi die strikte Anweisung, nur die allersichersten Objekte aufzukaufen und die anderen Kunden auf mich zu vertrösten. Da er ansonsten nichts vermerkt hatte, war wohl niemand auf die Idee gekommen, eine zahnlose Flugpostmarke von 1920 oder ähnlichen Unsinn zu bestellen.
Dann ging ich in mein Büro und versuchte, so etwas wie einen Tagesbericht zu verfassen. Die meiste Zeit guckte ich aus dem Fenster auf die Lambertikirche, den steinernen Galgen für die drei Wiedertäuferführer, deren Leichen man 1536 in Käfigen am Kirchturm aufgehängt hatte. Als Touristenattraktion hingen die Käfige noch heute da, eine Geschmacklosigkeit mit dem Segen des Bischofs.
Ich hatte keine Lust mehr und klappte den Bericht zu. Vor allem anderen gelüstete es mich nach einem Ölbad.
Im Kreuzviertel, einem bei Studenten und dem intellektuellen Mittelstand besonders beliebten Wohngebiet mit großen alten Bürgerhäusern, nannte ich eine gemütliche Dreizimmerwohnung mein eigen. Sie stammte noch aus der Zeit, als ich als Rechtsanwalt recht gut verdiente. Später brachte ich es dann nicht übers Herz, meinen Lebensstandard zu senken.
Ich öffnete ein Fenster, um die abgestandene Luft zum Zirkulieren zu bringen. Nicht, dass ich aus Prinzip allein lebte. Es hatte sich einfach so ergeben.
Ich ließ Wasser in die Badewanne und gab einen gehäuften Becher Öl dazu. Dann zog ich mich schnell aus, um den Juckreiz zu überlisten. Ich schaffte es, im Wasser zu sein, bevor er mich packen konnte.
Nach einer wohligen Viertelstunde trocknete ich mich ab und cremte mich gründlich ein. Fettglänzend begab ich mich sodann in die Küche, um zu sehen, was der Kühlschrank zu bieten hatte.
Zu etlichen belegten Vollkornschnitten guckte ich mir die Nachrichten an. Der Dollarkurs war wieder gesunken und Helmut Kohl meinte, dass vom Zustand der Union keine Rede sein könne. Gähnend überlegte ich, ob ich noch in meine Stammkneipe gehen sollte. Vielleicht war sogar Hildegards Mann auf Dienstreise und ich konnte sie zu einem Abend zu zweit überreden. Schließlich entschied ich mich für eine Pfeife und ein Buch über die Assassinen.
IV
Am nächsten Morgen war ich ziemlich früh auf den Beinen. Zur Feier des Tages gönnte ich mir ein paar ofenfrische Vollkornbrötchen aus dem Bio-Laden in der nächsten Seitenstraße. Die etwas verhärmte, aber unheimlich gesund aussehende Verkäuferin strahlte mich wie immer an und ich nahm noch eine Mohnschnecke, natürlich ohne Zucker.
Bei einem Milchkaffee und Radiogeplärre im Hintergrund verputzte ich das üppige Frühstück und machte mich einigermaßen frohgelaunt auf den Weg.
Meine erste Anlaufstelle war die Wohnung von Klaus Stürzenbecher. Wie ich gehofft hatte, saß er noch am Frühstückstisch, umringt von seiner Frau und zwei Kindern. Mit einem Griff schob er sich ein halbes Brötchen in den Mund, nahm die Kaffeetasse und zerrte mich wortlos ins benachbarte Wohnzimmer. Um die Zeit auszunutzen, in der er noch kauen würde, zog ich ihn ins Vertrauen: »Pobradt ist vollständig rehabilitiert und erfreut sich bester geistiger Gesundheit.«
Eines der unerklärlichen Phänomene auf dieser Welt ist die Geschwindigkeit, mit der Polizisten essen. Wahrscheinlich liegt das daran, dass sie immer befürchten, jeden Moment unterbrochen zu werden. Mit vollständig leerem Mund sagte Stürzenbecher: »Einmal verrückt, immer verrückt.«
»Lass uns nicht über Psychiatrie diskutieren! Was hast du herausgefunden?«
Stürzenbecher leerte die Kaffeetasse in einem Zug.
»Bei jedem offensichtlichen Selbstmord gibt es ein paar winzige Kleinigkeiten, die nicht ins Bild passen.«
»Und die wären?«
»Zum Beispiel die Frage, warum sich ein jagderfahrener Mensch nicht den Lauf in den Mund schiebt, wenn er sich umbringen will, sondern sich stattdessen das halbe Gehirn wegpustet und langsam krepiert. Doch es gibt auch die Möglichkeit, dass er sich gar nicht umbringen wollte. In diesem Fall könnte sich der Schuss versehentlich gelöst haben, als das
Weitere Kostenlose Bücher