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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rank
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flirrten tausend Bilder herum, alle in Farbe und übereinander, als spule jemand in einem Affenzahn einen Film rückwärts ab. Unfallszenarien. Ich sah Lene und ich sah Tim, aber ich brachte die Bilder nicht zusammen. Im Hof plärrten Amseln um die Wette, der Straßenlärm wurde von der Fassade verschluckt, irgendwo hörte jemand Flamencomusik bei offenem Fenster. Lenes Nummer war eine der wenigen, die ich ganz am Anfang in den Speicher des Telefons eingegeben hatte. Mein Großvater hatte es mir zum Einzug geschenkt, ich kam genau zu vier Nummern. Ihre wäre mir jetzt nicht eingefallen.
    Als Lene ranging, hörte ich, dass sie geweint hatte. Und ihre roten Wangen, ihren Finger an einer Haarsträhne, ihre Fingernägel, die ihre Schienbeine aufschabten, hörte ich auch. Wie Stifte auf Papier. Ich hörte, wie sie während unseres Telefonats in der Wohnung herumging und wie sich ihre Füße von den Dielen hoben, dass es unordentlich warin ihrem Zimmer, weil sie gegen ein paar Dinge stieß, irgendwo drauftrat oder etwas beiseite schob. »Ich fahre weg. Kommst du mit?«, sagte sie, und ich wusste nicht, ob sie das ernst meinte, wohin sie wollte. Aber ich musste sie sehen. »Wenn du das willst, fahre ich mit.« – »In zwanzig Minuten bin ich bei dir«, sagte sie und hatte schon aufgelegt, bevor ich noch etwas erwidern konnte. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, ich rief meine Mutter an, erklärte ihr die Lage, so gut es ging (es ging nicht gut), wich aber den Fragen aus, denn ich hatte selber keine Antworten. »Ich melde mich«, war meine Verabschiedung, und ich wusste, wie verdutzt sie schaute, und dass sie in Sorge war. Sie kannte Lene, seit wir uns mit acht Jahren in der Malgruppe angefreundet hatten. Kurz überlegte ich, Friedrich anzurufen, aber dann suchte ich die rote Tasche und vergaß es. Ich griff ein paar Sachen und stopfte sie hinein. Meine Salbe vergaß ich, obwohl es in den Armbeugen anfing zu jucken. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was in einem Menschen vorgeht, der seine große Liebe verliert.
    Sie parkte in der zweiten Reihe, und ich konnte schon von der Haustür aus sehen, wie schwer es ihr fiel, aufrecht zu sitzen, den Kopf oben und die Augen offen zu halten. Sie hatte Striemen an den Wangen, kleine rote Streifen, wie man sie bekommt, wenn man mit den Fingern ein bisschen zu lange ein bisschen zu fest auf der Haut entlang fährt. Sie stieg nicht aus, ich hatte das Auto vom Balkon aus kommen sehen. Ein bisschen umständlich kletterte ich auf den Beifahrersitz, stellte meine Tasche in den Fußraum und beugte mich über die Handbremse zu ihr herüber, strich ihr dieHaare weg vom Hals irgendwohin, hinter den Ohren blieben sie nicht. Es war schwer, sie zu umarmen, wie sie da saß, einfach in den Fahrersitz gefallen, den Blick starr nach vorne gerichtet, die Hände lose neben dem Körper, man sah es ihr an, alles. Ich hatte die Stangen der Kopfstütze an der Nase, als ich sie festhielt, und nahm den Geruch des Metalls wahr. Nur kurz schaute sie zwischendurch zur Seite durch ihre dichten Wimpern. »Wenn das Tier tot ist, bricht der Blick.« Ich verstand sie kaum und fragte nach: »Was?« – »Mein Opa hat das gesagt, als ich mal mit ihm draußen im Wald war bei dem Hochsitz. Wenn das Tier tot ist, dann bricht der Blick.« Das Klicken der Warnblinkanlage drängelte, ich schaltete sie aus, Lene ließ ihren Kopf nach vorne fallen, ein paar Tränen tropften auf ihre Knie. Man hörte gar nichts. Irgendwie hatte ich es für möglich gehalten, sie wütend und aufgebracht zu erleben, stampfend und polternd, laut und schluchzend, aber sie war einfach still. Und mir fielen keine Worte ein. Der Atem ging ruhig und draußen sausten Straßenbahnen und Busse unbehelligt an uns vorbei. Menschen liefen, beeilten sich, ein Hund jaulte, ein zweiter kam dazu.

    »Vielleicht sollte ich den mal anschauen lassen«, sagte sie, als wir aus der Stadt raus waren, als statt Häusern plötzlich Felder und Bäume am Autofenster vorbeiflogen. Die Namen der Bäume wusste ich nicht, aber es war die Sorte, die ich eigentlich am liebsten mag, wenn sie neben der Autobahn auftauchen. Vielleicht Pappeln. Auf dem Schulhof hattenwir Pappeln, aber die an der Autobahn sahen anders aus, grüner, vielblättriger. »Der hat keine klare Umrandung.« Lene hatte sich das Kleid bis zur Brust hochgezogen und hielt ein Stück Haut zwischen Daumen und Zeigefinger. So groß wie eine Zwei-Euro-Münze vielleicht. Und mit dem Stück Bauch in der einen Hand,

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