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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rank
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irgendeiner Liste, und Lene rannte ihm mit einem zerknitternden Zettel in der Hand entgegen. Gemeinsam gingen sie kurz ein paar Dinge durch, er prüfte noch einmal ihre Dokumente und ihr Ticket, und ich schaute ihn an und mochte es, wie er mit den Händen durch die Papiere fuhr und manchmal beim Lesen eine Zeile mit der Fingerspitze nachzog. Dann erst fiel mir auf, dass Lene noch ihren Schlafanzug trug und dicke Wollsocken. In ihrer übergroßen Strickjacke und mit wirren Haaren wurde ihr dann bewusst, dass eine halbe Stunde nur dreißig Minuten waren, und sie verschwand panisch im Bad. Vince lächelte in sich hinein, schüttelte den Kopf und begann, hier und da ein paar Dinge vom Boden aufzuheben und in den Koffer zu legen.
    Wir schafften es. Wir wuchteten die Reisetasche und den Koffer die Treppe hinunter. Langsam kroch dunkelblaue Helligkeit die Häuserwände hinauf, und als Vince die Sachen im Kofferraum von Lenes Wagen verstaute, verschwand sie noch einmal kurz hinter einer Häuserecke und kam mit einer Brötchentüte und Kaffee in Bechern zurück. »Schön sind die nicht«, meinte sie und schaute ernst auf die Becher. »Aber sie erfüllen ihren Zweck als vorläufigen Reiseproviant.« Und wie ein halbes Jahr zuvor nahmen Lene undich auf der Rückbank ihres Wagens Platz, und Vince setzte sich hinter das Steuer. Nervös klopften ihre Finger auf ihrem Oberschenkel herum. Sie sah mich nicht an, schaute nur aus dem Fenster und es war okay, das war ihr Abschied. Als sie trank, behielt sie den Becher noch eine Weile am Mund, als habe sie vergessen, die Bewegung zu Ende zu bringen, als sei sie mitten im Schluck zum Stehen gekommen. Sie sah aus, als wäre sie schon längst nicht mehr in der Stadt.
    Am Flughafen dann wollte sie unbedingt noch Kaugummi kaufen, ließ den Koffer neben uns stehen und verschwand hektisch zwischen den Regalen. Für den frühen Morgen war schon viel los in dem kleinen Tegeler Rondell. Familien kehrten zurück in ihre Einfamilienhäuser am Rande der Stadt, Jugendliche fuhren in den Ski-Urlaub, und nur ganz wenige waren allein unterwegs und ohne Begleitung. Das Rollkoffergeräusch auf den Bodenplatten war permanent. Ein älterer Herr stand auf seinen Fersen kippelnd vor einer Fensterscheibe und schaute den Flugzeugen beim Starten und Landen zu. Die Hände hatte er hinter dem Rücken verschränkt, den Kopf schief gelegt, sein Trenchcoat hing wie auf einem Kleiderbügel von seinem Rücken, ohne erahnbaren Körper darunter. Es schien, als sei sein schmaler, spärlich behaarter Kopf oben auf den Haken des Bügels geschraubt worden und die Beine hingen an losen Schnüren herab. Er sah nicht aus, als warte er auf jemanden.
    »Terminal 18!«, hechelte Lene und sauste davon. Vince zog mich und den Koffer hinterher, Lene hatte die Reisetasche wie einen erlegten Bären über die Schulter geworfen.Dann wurden ihr Aufkleber um die Henkel geklebt, sie zeigte ihren Ausweis und bezahlte die Gebühr für das Übergepäck. Ich wartete draußen vor den großen Scheiben, wo die Taxis hielten. Und als sie drinnen fertig war, kam sie mit Vince heraus und schlang ihre Arme um meinen Bauch, und dann ging die Sonne auf irgendwo anders, und das Licht legte sich rosa auf das Flachdach des Flughafengebäudes. Ich heulte nicht, ich hielt sie nur fest und mein Flüstern vermischte sich mit ihrem, aber es war egal, weil sie danach hinter dieser Glasscheibe verschwinden und eine Weile nicht zurückkommen würde. Wir sahen noch ihren Rücken, als sie ihre Schuhe ausziehen musste, dann tauchte sie ab und verschwand hinter dem Milchglas. Von der Besucherplattform oben auf dem Dach sah ich allen Flugzeugen hinterher, weil ich nicht wusste, welches ihres war.
    Auf der Rückfahrt saß ich vorne und schaltete das Radio ein. Der Himmel war so blau, wie er im Sommer nicht sein konnte. Ein Wort, und ich wäre in
     Tränen ausgebrochen. Wenn sie nicht schalten musste, lag die Hand von Vince auf meinem Knie. »Wo willst du hin?«, fragte er leise an einer roten
     Ampel. »Zu euch – also zu dir …«, antwortete ich nach kurzem Zögern. Dann stand ich zwischen den Kisten und Kartons in Lenes Zimmer, zwischen blauen
     Müllsäcken und dem Kaktus auf dem Fensterbrett. Im Januar würde hier ein polnischer Student einziehen, am nächsten Tag sollten Lenes Eltern mit dem
     Kleinbus kommen, um die restlichen Sachen abzuholen. Am Flughafen wollte Lene sie nicht dabei haben, aber in zwei Tagen würden sie zu ihr
     fliegen. Ankommen wollte sie

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