Und Jimmy ging zum Regenbogen
in der Nacht? Bei völliger Verdunkelung?«
»Etwas Licht war da … im Wagen!« Valerie ließ sich nicht beirren.
»Friedjung hat seine Geliebte abgeholt und ist untergetaucht.«
»Wohin?«
»Irgendwohin. Nach Deutschland. Ins Ausland. Ein Bonze! Diesen Leuten war alles möglich damals, knapp vor dem Zusammenbruch. Er lebt, Daniel! Friedjung lebt! Und ich werde ihn finden …« Er schwieg beklommen. Das alles hat keinen Sinn, dachte er. Diese Frau ist durch ihren Kummer ganz und gar verwirrt.
»Und wenn ich ihn gefunden habe …« Valerie sprach den Satz nicht zu Ende. Ihre weißen Hände ballten sich zu Fäusten. Und tausend Blumen blühten ringsum und dufteten und leuchteten in allen Farben, und die Kinder sangen noch immer.
71
Jäh wie der Blitz drehte Anton Sirus’ Hand den Konusknopf zurück. Er murmelte einen Fluch. Mercier, der neben ihm stand und dem Professor von Zeit zu Zeit die Stirn trockengewischt hatte, sprang erschrocken zur Seite.
»Was war das?«
»Eine Katastrophe, um ein Haar«, antwortete der Professor, schwer atmend. »Einen halben Teilstrich über die richtige Zahl hinaus. Ich hörte schon, wie sich die Arretierungsvorrichtung öffnete, um zuzuschnappen.«
Mercier wurde blaß.
»Großer Gott. Vier Zahlen haben wir schon.«
Er sah zu dem Schreibtisch und den Blättern mit den Notizen und Berechnungen. Obenan auf einem Blatt standen die bereits gefundenen Kombinationsnummern: 8 4 1 9.
Mercier sagte: »In zwanzig Minuten Mitternacht. Und Sie hätten wieder von vorn beginnen müssen.«
Der Professor nickte nur. Er stand schon wieder vor dem Einstellkonus. Millimeter um Millimeter drehte er den Knopf auf die Zahl zu, über die er hinausgeraten war. Auf einmal stockte er und nahm sich die Stethoskopbügel aus den Ohren. »Die fünfte Zahl ist die 3.« Er schrieb sie in die Reihe der anderen und notierte danach wieder alle Bewegungen des Einstellrades, vor, zurück, normal, gezogen, die er ausgeführt hatte, um die 3 zu erreichen.
»Das ist ein Beruf, bei dem man fromm werden kann«, sagte Mercier. Er hatte das letzte Wort kaum ausgesprochen, da ertönte, schnell lauter werdend, das an- und abschwellende Heulen einer Sirene.
»Licht aus!« zischte der Professor, sehr leise.
Mercier hastete zu der Tischlampe. Das Büro lag nun im Dunkeln. Der Franzose fand den Weg zu einem der Fenster und schob den Vorhang zurück. Über die verschneite, menschenleere Fahrbahn des Kohlmarktes kam eine Funkstreife herangejagt. Ihr Blaulicht kreiste, ihre Sirene heulte. Auf dem Schnee schleudernd, hielt der Wagen direkt unterhalb des Fensters. Zwei Uniformierte sprangen heraus. Sie liefen auf den Gehsteig. Mercier konnte sie nicht mehr sehen.
»Polizei«, sagte Mercier atemlos.
Er erhielt keine Antwort, aber er war so erschrocken, daß ihm das nicht auffiel. Er starrte weiter in die Tiefe. Endlose Minuten verstrichen. Mercier fing an, lautlos zu beten. Wenn jetzt noch alles schiefging, jetzt noch …
Plötzlich tauchten die Polizisten in ihren Lederjacken wieder auf. Sie schleppten zwischen sich einen tobenden Betrunkenen, der wüst brüllte. Mit Mühe schafften sie den Mann in den Wagen. Türen flogen zu. Das Blaulicht begann zu zucken, die Sirene heulte auf, als die Funkstreife anfuhr.
Zahlreiche Fenster in den Häusern gegenüber waren erhellt, Menschen beugten sich neugierig aus ihnen. Auf meiner Seite wird das auch so sein, dachte Mercier. Na, egal. Noch einmal gutgegangen. Er ließ den Vorhang zurückgleiten, tastete sich zum Schreibtisch und knipste die Lampe wieder an. Ein heißer Schreck durchfuhr ihn. Anton Sirus war verschwunden!
Ich werde verrückt, dachte Mercier. Das gibt es doch nicht, das ist doch unmöglich. Er kann sich nicht in Luft aufgelöst haben. Dann sah er Sirus. Der Professor saß, im Schneidersitz, mit untergeschlagenen Beinen, auf dem Teppich. Sein Gesicht hatte einen entrückten, sanften Ausdruck angenommen. Er starrte eine offene Bücherwand mit juristischen Werken an, reglos, anscheinend völlig glückselig. Wie Sirus dasaß, erinnerte er Mercier an eine Buddha-Figur. Nur, dachte er, liegen beide Hände des Professors ruhig und locker im Schoß. Bei den Buddhas ist immer eine Hand lehrend erhoben.
»Herr Sirus!«
Keine Antwort, keine Reaktion.
»Sirus, was haben Sie!« rief Mercier, nun schon in gelinder Panikstimmung.
Der Professor bewegte keine Wimper. An Mercier vorbei blickte er die Bücher an.
»Sirus! Sirus! Ich flehe Sie an, sagen Sie etwas! Ein Wort!
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