Und Jimmy ging zum Regenbogen
Sie war, trotz aller Sympathie, innerlich unsicher. Sie konnte Friedjung bewundern, gern haben, aber mit ihm
leben –
nein, das würde sie nun nicht mehr können. Denn jetzt war …
Sie riß sich aus ihren Gedanken und hörte wieder seine Stimme. »… es ist nicht erreicht worden!« Friedjungs Hand verkrampfte sich um Valeries Schulter, es tat weh. »Und warum nicht? Weil der feine Herr Wilson uns mit seinem Friedensplan verraten hat! Die Republik Deutsch-Österreich sollte uns nicht nur mit Deutschland vereinen, sie sollte auch alle deutschen Siedlungsgebiete des alten Kaiserreichs in den Alpen- und Sudetenländern umfassen, ja? So war es besprochen, ja? Und dann kam dieser Schandvertrag von Saint Germain! September 1919.« Friedjung trat einen Stein zur Seite. »Artikel 88! Anschlußbestrebungen jeder Art sind verboten! Die Bezeichnung Deutsch-Österreich ist verboten! Sie haben uns belogen, Valerie, betrogen, verraten! Verstehst du das?«
»Ja, Karl, ja.« Was er sagte, leuchtete ihr ein, vollkommen ein, sie empfand wie er. Und trotzdem … trotzdem war da noch immer etwas, das sie erschauern ließ, wenn er so sprach. Sie sagte: »Die Folgen dieses Friedensvertrages sind auch entsprechend!«
»Bei Gott!« Friedjung starrte in die Ferne, aber er sah nicht die glühende Stadt, nicht die Schönheit der Natur. Ohne auf den Weg zu achten, schritt er dahin, mit einem abgeschnittenen Ast gegen die Büsche am Wegrand schlagend. »Tschechische Legionäre haben das wehrlose sudetendeutsche Gebiet besetzt, ja? Unterdrücken unsere Brüder dort! Südtirol wurde bis zum Brenner von den Italienern besetzt, ja? Die Südsteiermark von jugoslawischen Truppen! Das geht nicht so weiter, Valerie! Wir müssen kämpfen um den Anschluß! Dafür sind alle! Die Studenten! Die Burschenschaften! Sogar die Sozialdemokraten! Nur die von der alten Generation – unsere Eltern –, die kommen da nicht mehr mit!«
»Meine Eltern in Linz«, sagte Valerie, »das waren Monarchisten. Die haben resigniert. Die meinen, der Vielvölkerstaat hat zerfallen
müssen.«
»Auf diese Generation ist keine Hoffnung mehr zu setzen! Aber auf die Sozialisten!« rief Friedjung. »Schau, die Nationalen haben bisher nicht erkannt, welche unerhörten Kräfte die Sozialisten besitzen. Aber die sind international. Noch. Das Nationale und das Soziale muß wieder zusammenkommen, ja? Das hat schon der alte Lueger begriffen. Die Arbeiter müssen das auch begreifen! Das ist unsere Aufgabe, es ihnen zu erklären, zu beweisen!« Friedjung war stehengeblieben. Er peitschte die Luft mit einem Ast. »Treue! Glaube! Ehre! Opfermut! Anstand! Pflichtgefühl! Heimat! Familie! Verantwortungsbewußtsein! Vaterland! All diese Begriffe hat man nach dem Krieg in den Dreck gezogen! Darüber lachen sie heute nur noch, die feinen Sieger, diese Betrüger, und der Abschaum in unserem eigenen Volk! Wir, wir müssen dafür sorgen, daß diese Worte wieder Sinn bekommen, daß sie wieder Werte darstellen, für die es sich zu kämpfen lohnt, jawohl!« Er bemerkte, daß sie ihn fasziniert anstarrte, in halber Bewunderung, in halber Furcht. »Was ist?«
»Nichts … nichts, Karl …«
Jäh warf er den Zweig fort und trat dicht an sie heran. Plötzlich war seine Stimme leise, unsicher, er suchte nach Worten, ein verlegener Junge:
»Valerie … ich … bitte, entschuldige, daß ich dich so überfalle, aber …«
»Was heißt überfalle?«
»… aber ich habe keinen Menschen, mit dem ich mich so gut verstehe wie mit dir … keinen Menschen … Ich … ich liebe dich, Valerie … glaubst du, daß du mich auch lieben kannst?«
»O Gott«, sagte Valerie.
»Wie?«
»Mein armer Karl.« Valerie strich ihm über die Wange. »Ich habe dich auch gern, wirklich … sehr, sehr gern habe ich dich …«
»Gern. Ach so. Ich verstehe.«
»Nein, du verstehst nichts.« Valerie senkte den Kopf. »Ich habe einen Mann kennengelernt, Karl. Er ist älter als ich. Schon eine ganze Weile kennen wir uns. Ich hätte es dir sagen sollen. Aber ich wußte ja nicht, daß du …« Sie kam nicht weiter.
»Ein anderer Mann.« Friedjung drückte mit einer Hand unter ihr Kinn, so daß sie den Kopf heben mußte. »Was für ein anderer Mann?«
»Er ist sehr verliebt in mich, weißt du …«
»Und du bist in ihn verliebt«, sagte er traurig.
»Vielleicht. Er ist so gut zu mir, so menschlich. Es tut mir wirklich leid für dich. Dieser Mann und ich, wir wollen uns verloben …«
»Was?«
»Ja. Gleich
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