Und Jimmy ging zum Regenbogen
nach der Matura. Ich muß ihn meinen Eltern vorstellen. Die kennen ihn noch gar nicht.«
»Das heißt, ihr wollt heiraten?«
Valerie nickte.
»Und wie heißt dieser Mann?«
»Paul Steinfeld.«
»Der Journalist?«
»Ja, Karl.«
Friedjung sagte leise: »Dieser Paul Steinfeld ist doch ein Jude!«
»Das ist er. Ich verstehe nicht, was …«
Aber er unterbrach sie, und jetzt schrie er wieder: »Bist du denn wahnsinnig geworden? Die Schweine, die uns das alles eingebrockt haben, die alles zerstört haben, denen wir unser Elend verdanken –
das sind doch die Juden!
Und du willst eine
Judenhure
werden?«
Im nächsten Augenblick schlug ihm Valerie mit der offenen Hand ins Gesicht, so fest sie konnte.
69
»Diesen Schlag hat Karl Friedjung niemals vergessen«, sagte der alte Daniel Steinfeld. »Natürlich war von der Stunde an die Beziehung der beiden abgebrochen, und Haß trat an die Stelle von Liebe. Abgebrochen …« Steinfeld schüttelte den Kopf. »Falsch! Ich glaube, in einem anderen, tieferen Sinn kann man sagen, daß die Beziehung dieser beiden Menschen zueinander niemals abbrach, nein, niemals. Denn was ist Haß anderes als die zweite Hälfte der Liebe?«
»Das hat Valerie dir erzählt?« fragte Irene. Es war 23 Uhr 15, eine schöne antike Uhr mit einem waagerechten Vierkugelpendel, unter einem Glassturz, zeigte die Zeit.
»1948, als ich sie besuchte«, sagte der alte Mann. »Sonst hat sie bis dahin niemandem etwas darüber erzählt – ihrem Mann nicht und nicht Martin Landau. Auch ich hatte 1929 keine Ahnung, daß der Mann, der damals am Chemischen Institut Assistent wurde und dann bei mir arbeitete, daß dieser Doktor Karl Friedjung die Frau meines Bruders kannte. Er sagte mir nie ein Wort.«
»Friedjung wurde Ihr Assistent?« rief Manuel.
»Ja. Bis zu meiner Emigration. Ein hervorragender Biochemiker. Seine politischen Ansichten waren schon 1929 die eines fanatischen Nazis, und sie wurden es mehr und mehr.«
»Wie verhielt er sich dir gegenüber?« fragte Irene.
Daniel Steinfeld zuckte die Schultern.
»Meine Mitarbeiter und ich bildeten immer ein Team. Es gab da Juden, Katholiken, Atheisten, Nazis, Kommunisten. Ich hatte ein für allemal verboten, daß politisiert wurde. So blieb das Klima erträglich. Und dann waren wir auch zu sehr fasziniert von unserer Arbeit. Das verhinderte Feindschaften und Auseinandersetzungen. Ich glaube, ich kann sagen, daß nirgends so lange Frieden herrschte wie in meinen Laboratorien … Ein ausgezeichneter Wissenschaftler«, sagte Daniel Steinfeld. »Sehr begabt. Und mit großem pädagogischem Talent.«
»Er ist auch Direktor der Staatsschule für Chemie geworden«, sagte Irene.
»Ja.« Daniel fuhr sich mit seiner knochigen Hand über den kahlen Schädel. »Und zwar erst, als Heinz schon ein Jahr an diesem Institut war. Das hat mir Valerie erzählt. Sie bekam den Schreck ihres Lebens damals. Sie hätte Heinz sonst doch niemals in die Staatsschule geschickt! Aber als sie ihn anmeldete, war der Chef da noch ein alter, toleranter Herr, zu dem sie Vertrauen empfand. Wegen seines Alters und seiner Toleranz wurde er ein Jahr später in Pension geschickt und durch Friedjung ersetzt.«
»Zunächst verhielt der sich gegen Heinz ganz korrekt«, sagte Manuel.
»Zunächst, ja. Er wartete. Er hatte Zeit. Er wußte, er würde seine Gelegenheit bekommen in den vier Jahren, die Heinz am Institut sein sollte. Eine Gelegenheit, bei der er gegen den Jungen vorgehen konnte, um sich zu rächen für die Demütigung, die er indirekt durch einen Juden erlitten hatte … Er war einer von diesen scheinbar integren Überzeugungsnazis. Was heißt Nazi? Eine Frage des Typus … eine Frage des Regimes … Friedjungs hat es immer gegeben, und es wird sie immer geben … Und niemand soll den Hochmut haben zu sagen: ›Bei uns wäre so etwas nicht möglich!‹« Steinfeld seufzte. »Nun ja, und als Friedjung dann die Möglichkeit hatte, nach Recht und Gesetz mit aller Schärfe durchzugreifen, da tat er es. Da nahm er Rache an Valerie, indem er sich an ihrem Sohn, dem Sohn des Juden, rächte. Er wollte ihn vernichten! Wenn er schon Valerie und ihren Mann nicht vernichten konnte, dann sollte die Mutter ihr Kind verlieren, dann sollte Heinz draufgehen! Er hat sein Ziel erreicht, wenn auch anders, als er es sich dachte …«
»Und er ist selber draufgegangen dabei«, sagte Manuel.
»Das eben«, sagte Daniel Steinfeld, »wollte Valerie nicht wahrhaben …«
70
»Er lebt!« sagte
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