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Und nie sollst du vergessen sein

Und nie sollst du vergessen sein

Titel: Und nie sollst du vergessen sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Boehm
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ihren grauen Winteranorak, an dessen Armen jeweils drei blaue Streifen abgesetzt waren, über ihr leuchtendgelbes Twinset aus Kaschmir.
    Bin ich froh, die dicke Jacke eingepackt zu haben, musste sie sich selbst loben, als sie den Schlüssel aus dem Türschloss des Apartments zog und ihr an der Haustür eine eisige Kälte entgegenschlug. Schon seit 23 Jahren fuhren die beiden Dortmunder nach Nöggenschwiel, doch in diesem Jahr zum ersten Mal im November.
    Späte Ferien in den meisten Bundesländern hatten dazu geführt, dass Roswitha Villinger, ihre Vermieterin, für den Oktober keine Plätze mehr frei hatte. Und auch wenn die Kampmanns schon ein Jahr im Voraus gebucht hatten, so hatte Roswitha Villinger die beiden inständig gebeten, ob sie dieses Jahr nicht ausnahmsweise einmal im November kommen könnten.
    â€žSie sind doch beide Rentner, und, na ja, Sie wissen ja, wie die Leute mit Kindern so sind. Gerne viel Platz, ein zusätzliches Kinderzimmer, Badewanne und ein großer Fernseher sollten es schon sein und das hat bis jetzt eben nur das Apartment, das Sie immer buchen“, hatte die sanftmütige, wenn auch energische Vermieterin erklärt und den Kampmanns einen Rabatt von fünf Prozent in Aussicht gestellt. Ein Angebot, das sich Herbert Kampmann als ausgewiesener Sparfuchs nicht hatte nehmen lassen.
    So waren die beiden Ruhrpottler, wie Roswitha Villinger das Ehepaar liebevoll nannte, eben erst im November angereist. In Gedanken versunken, was sie heute wohl unternehmen könnten, machte sich Luise Kampmann auf zum Lädele, das samstagmorgens bereits um 7 Uhr geöffnet hatte. Vor mehr als 30 Jahren war der ehemalige große Sitzungssaal im Rathaus zu einem kleinen Lebensmittelmarkt umgebaut worden, der sich nicht nur bei den Einheimischen, sondern auch bei den vielen Touristen großer Beliebtheit erfreute.
    Vom Witznauweg, in dem sich Roswitha Villingers Haus mit den zwei Ferienwohnungen im Erdgeschoss befand, gelangte sie, vorbei an einem großen Gehöft, das einem Verwandten der Villingers gehörte, in den Rosenweg, von dem sie nach knapp einhundert Metern nach rechts in einen kleinen Pfad abbog. Dieser geteerte Weg war eine Abkürzung, die ihr Roswitha Villinger einmal verraten hatte, und auf der man auf schnellstem Wege zum Lädele gelangte. Er führte als Einfahrtsweg zum Kindergarten, der in einem gewöhnlichen Zweifamilienhaus nur durch ein buntes Eingangsschild aus Holz und den zwei bemalten Fenstern als solcher zu erkennen war, und zum Seitenbereich der Kirche.
    Als sie nach oben blickte, baute sich St. Stephan mit seinen weißen Außenmauern und dem Turm im Barockstil mit der großen Uhr majestätisch vor ihr auf. Ehrfürchtig öffnete sie das weiße Türchen des kleinen Friedhofs, der an der nach Süden gewandten Seite des Kirchenschiffs angelegt worden war und hauptsächlich den verstorbenen Geistlichen der Kirchengemeinde oder den heimgegangenen Brüdern des nahegelegenen Klosters Maria Bronnen vorbehalten war, und betrat den aus ihrer Sicht heiligen Gottesacker. Der Kies knirschte unter ihren Füßen, als sie den schmalen und nur kurzen Weg zwischen den Gräbern entlang lief, die alle mehr als ordentlich gepflegt waren, wie sie erfreut und nichts anderes erwartend feststellte.
    Sie wollte gerade durch das andere Gatter gehen, das den Friedhof vom Kirchplatz trennte, als sie plötzlich eine lallende Männerstimme hörte. Sie erschrak so sehr, dass sie aufschrie und dabei fast das Gleichgewicht verloren hätte. Sie drehte sich um und sah, wie ein Mann mit abgewetzten Hosen und nur einem Schuh an den Füßen, auf den Treppenstufen des Kircheneingangs saß und mal laut und klar, dann wieder leise und in sich nuschelnd, irgendwelche Worte vor sich hin sang. Erst beim genaueren Hinhören erkannte sie, dass es sich bei den Liedzeilen um den Auszug eines Gedichtes handelte, nur dass die Verse keinen Zusammenhang ergaben.
    â€žSah ich einst ein Röslein stehn, war so jung und war so schön. Die Haare schwarz, die Lippen rot, nun ist sie wie Schneewittchen tot.“
    Eine kräftige Böe blies eine so heftige Alkoholfahne von dem Mann zu ihr herüber, dass sie sich angeekelt abkehrte und zum Lädele eilte, als ob nichts gewesen wäre und sie diese Szene nie erlebt hätte. Auch wenn ihr rasender Herzschlag und die blasse Gesichtsfarbe etwas anderes sagten.
    â€žMachen Sie sich nichts

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