Und so verlierst du sie
dich nicht verlassen.
Sie hätte dich trotzdem verlassen, sagt Arlenny. Glaub mir.
Das restliche Semester entwickelt sich zu einem prächtigen Scheißhaufen. Die schlechtesten Bewertungen in deinen sechs Jahren als Dozent. Dein einziger nichtweißer Student in diesem Semester schreibt: Er behauptet, wir hätten von nichts eine Ahnung, zeigt uns aber keine Möglichkeit auf, diese Defizite zu beheben. An einem Abend rufst du deine Ex an, und als sich die Mailbox meldet, sagst du: Wir hätten ein Kind bekommen sollen. Und dann hängst du beschämt auf. Warum hast du das gesagt?, fragst du dich. Jetzt spricht sie mit Sicherheit nie wieder mit dir.
Ich glaube, der Anruf ist nicht das Problem, meint Arlenny.
Guck mal. Elvis zeigt dir ein Foto von Elvis jr. mit einem Baseballschläger in der Hand. Der Junge wird mal ein ganz Großer.
In den Winterferien fliegst du mit Elvis in die DR . Was zum Teufel sollst du sonst machen? Du hast nichts zu tun, außer mit den Armen zu rudern, wenn sie taub werden.
Elvis ist völlig aus dem Häuschen. Er hat drei Koffer mit Kram für den Jungen, darunter seinen ersten Baseballhandschuh, seinen ersten Ball, sein erstes Trikot von den Boston Red Sox. Etwa achtzig Kilo Klamotten und anderes Zeug für die Mama des Jungen. Hat sogar alles in deiner Wohnung versteckt. Du bist bei ihm zu Hause, als er sich von seiner Frau und seiner Schwiegermutter und seiner Tochter verabschiedet. Seine Tochter scheint nicht zu begreifen, was passiert, aber als sich die Tür schließt, stimmt sie ein Wehgeschrei an, das sich wie Klingendraht um dich schlingt. Elvis geht das am Arsch vorbei. So war ich auch, denkst du. Ich ich ich.
Natürlich siehst du dich im Flugzeug nach ihr um. Du kannst nicht anders.
Du gehst schon davon aus, dass die Mama des Kleinen in einer armen Gegend wie Capotillo oder Los Alcarrizos wohnt, aber du hättest nicht gedacht, dass sie in Nadaland lebt. Du warst früher schon ein paarmal dort, verdammt, deine Familie hat sich aus so einem Loch herausgearbeitet. Slums, in denen es keine Straßen gibt, kein elektrisches Licht, kein fließendes Wasser, kein Stromnetz, gar nichts, hingerotzte Häuser, eines über dem anderen, überall Matsch und Baracken und Mopeds und Plackerei und dürre, lächelnde Idioten ohne Ende, als wäre man vom Rand der Zivilisation gefallen. Ihr müsst den gemieteten jípeta am Ende der befestigten Straße stehen lassen und mit dem ganzen Gepäck auf dem Rücken auf Motoconchos klettern. Niemand starrt euch an, weil das im Grunde noch gar nichts ist: Einmal hast du auf einem einzigen Motoconcho eine fünfköpfige Familie mitsamt Schwein gesehen.
Schließlich haltet ihr vor einem winzigen Häuschen, und die Mama kommt heraus – glückliche Heimkehrszene … uuund Action. Du würdest gerne behaupten, dass du dich von eurer letzten Reise an die Mama des Kleinen erinnerst, aber das tust du nicht. Sie ist groß und sehr kurvig, genau wie Elvis seine Frauen mag. Sie ist höchstens einundzwanzig, zweiundzwanzig, lächelt so unwiderstehlich wie Georgina Duluc, und als sie dich sieht, nimmt sie dich in einen festen abrazo. Kommt uns der padrino endlich mal besuchen, stellt sie mit dieser typischen lauten, ronca campesina-Stimme fest. Neben ihr lernst du ihre Mutter, ihre Großmutter, ihren Bruder, ihre Schwester und ihre drei Onkel kennen. Wie es aussieht, fehlen allen Zähne.
Elvis hebt den Jungen hoch. Mi hijo, säuselt er. Mi hijo.
Der Junge fängt an zu weinen.
Zu Mamas Haus gehören gerade mal zwei Zimmer, ein Bett, ein Stuhl, ein kleiner Tisch, darüber eine nackte Glühbirne. Mehr Moskitos als in einem Flüchtlingslager. Dahinter ungeklärtes Abwasser. Fassungslos siehst du Elvis an. Die wenigen Familienfotos an den Wänden haben Wasserflecken. Wenn es regnet – Mama hebt die Hände –, ist nichts sicher.
Keine Sorge, sagt Elvis, ich besorge ihnen diesen Monat was Neues, wenn ich die Kohle zusammenkriege.
Das glückliche Paar lässt dich bei der Familie und Elvis jr., während es verschiedene negocios besucht, um Rechnungen zu bezahlen und das Nötigste zu besorgen. Klar will Mama auch mit Elvis angeben.
Du sitzt auf einem Plastikstuhl vor dem Haus, das Kind auf dem Schoß. Die Nachbarn bestaunen dich mit fröhlicher Neugier. Bei einer spontanen Partie Domino bildest du mit Mamas trübsinnigem Bruder ein Team. In weniger als fünf Sekunden hat er dich überredet, ein paar grandes und eine Flasche Brugal von einem colmado in der Nähe kommen zu lassen.
Weitere Kostenlose Bücher