Und so verlierst du sie
an allem härter als je zuvor – an deinem Unterricht, deiner Physiotherapie, deiner normalen Therapie, deinem Lesen, deinem Walken. Du wartest darauf, dass diese Schwere von dir abfällt. Du wartest auf den Moment, von dem an du nie wieder an die Ex denkst. Er kommt nie.
Jeden, den du kennst, fragst du: Wie lange braucht man normalerweise, um darüber hinwegzukommen?
Es gibt viele Formeln. Ein Jahr für jedes Jahr, das ihr zusammen wart. Zwei Jahre für jedes Jahr, das ihr zusammen wart. Das kommt nur auf die Willensstärke an: Wenn du beschließt, dass es vorbei ist, ist es vorbei. Du kommst nie darüber hinweg.
An einem Abend im Winter gehst du mit den Jungs in einen richtigen Ghettoschuppen, einen Latinclub am Mattapan Square. Dem beschissenen Murderpan. Draußen ist es fast minus fünfzehn Grad kalt, aber drinnen ist es so heiß, dass sich alle bis auf die T-Shirts ausziehen, die Luft ist wie im Pumakäfig. Ein Mädchen rempelt dich immer wieder an. Du sagst zu ihr: Pero mi amor, ya. Und sie antwortet: Ya doch selber. Sie ist Dominikanerin und geschmeidig und supergroß. Mit einem kleinen Mann wie dir könnte ich nie zusammen sein, erklärt sie dir gleich zu Anfang eures Gesprächs. Aber am Ende des Abends gibt sie dir ihre Handynummer. Die ganze Zeit über sitzt Elvis still an der Bar und kippt ein Shotglas Rémy nach dem anderen. In der Woche davor ist er allein zu einem kurzen Erkundungstrip in die DR geflogen, eine geheime Mission. Hat dir erst danach davon erzählt. Er hat nach der Mama und Elvis jr. gesucht, aber sie waren weggezogen, und niemand wusste, wohin. Keine der Telefonnummern, die er von ihr hatte, funktionierte. Ich hoffe, sie tauchen wieder auf, sagt er.
Hoffe ich auch.
Du unternimmst endlose Spaziergänge. Alle zehn Minuten hältst du an und machst Kniebeugen oder Liegestütze. Es kommt nicht ans Laufen heran, aber es treibt deinen Puls in die Höhe und ist besser als nichts. Danach hast du so üble Nervenschmerzen, dass du dich kaum rühren kannst.
In manchen Nächten hast du
Neuromancer
-Träume, in denen du deine Ex und den Jungen und noch jemanden siehst, eine vertraute Gestalt, die dir aus der Ferne zuwinken.
Irgendwo ganz in der Nähe das Lachen, das kein Lachen war.
Und dann, als du schließlich glaubst, dass du es schaffst, ohne in brennende Atome zu zerspringen, schlägst du die Mappe auf, die du unter deinem Bett versteckt hast. Das Buch des Jüngsten Tages. Kopien von allen Mails und Fotos aus deiner Fremdgängerzeit, die deine Ex gefunden und zusammengetragen und dir geschickt hat, einen Monat, nachdem sie Schluss gemacht hat.
Lieber Yunior, für dein nächstes Buch.
Wahrscheinlich das letzte Mal, dass sie deinen Namen geschrieben hat.
Du liest jedes Wort zwischen den Deckeln (ja, sie hat alles zwischen Deckel geheftet). Es überrascht dich, was für ein beschissener kleiner Feigling du bist. Es bringt dich fast um, es zuzugeben, aber es stimmt. Deine abgründige Verlogenheit verblüfft dich. Als du das Buch zum zweiten Mal durchgegangen bist, sprichst du die Wahrheit aus: Du hast das Richtige gemacht, negra. Du hast das Richtige gemacht.
Sie hat recht, daraus könntest du ein Hammerbuch machen, sagt Elvis. Ihr seid von einem Polizisten angehalten worden und wartet, während Wachtmeister Flachwichser deinen Führerschein überprüft. Elvis hält eines der Fotos hoch.
Sie ist Kolumbianerin, sagst du.
Er stößt einen Pfiff aus. Que viva Colombia. Gibt dir das Buch zurück. Du solltest einen Ratgeber schreiben, Liebe für Fremdgänger oder so.
Meinst du?
Ja.
Es dauert eine Weile. Du triffst dich mit der großen Dominikanerin. Du konsultierst weitere Ärzte. Feierst Arlennys Promotionsdisputation. Und dann, an einem Abend im Juni, schreibst du den Namen der Ex auf und dazu:
Die Halbwertszeit der Liebe beträgt ewig.
Du kritzelst noch ein paar Sachen hin. Dann haust du dich aufs Ohr.
Am nächsten Tag siehst du die neuen Seiten durch. Ausnahmsweise willst du sie nicht verbrennen oder das Schreiben für immer aufgeben.
Es ist ein Anfang, sagst du in den leeren Raum hinein.
Das war so ziemlich alles. In den folgenden Monaten konzentrierst du dich auf die Arbeit, weil sie dir ein Gefühl von Hoffnung gibt, von Gnade – und weil du in deinem verlogenen Fremdgängerherzen weißt, dass wir manchmal nicht mehr bekommen als einen Anfang.
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Über Junot Díaz
Junot Díaz ist der Autor der Storysammlung ›Abtauchen‹ und des Romans ›Das
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