Und trotzdem ist es Liebe
des leiblichen Vaters gesehen.» Daphne korrigiert mich dezent und lässt uns alle wissen, dass Tony der einzige Vater des Kindes sein wird, nicht der picklige Teenager, der Amber geschwängert und dann abserviert hat und der das Kind abtreiben lassen wollte. Ich werde diesen Fehler nicht noch einmal begehen. «Er ist ein ganz normaler Durchschnittstyp», sagt sie dann. «Auf demselben College wie sie …»
«Und er ist eins fünfundachtzig.» Tony lacht.
«Und was genau ist eine offene Adoption?», frage ich.
Daphne erklärt, dass Amber zum Leben ihres Sohnes dazugehören wird. «Wir wollen, dass er seine leibliche Mutter kennt.»
«Dann ist alles schon abgemacht?», fragt mein Vater.
Daphne nickt. Sie und Tony hätten den Papierkram zum größten Teil erledigt und die Gebühren bezahlt. «Es ist verrückt …», sagt sie. «Und es geht alles so schnell … In den nächsten paar Wochen haben wir eine Menge zu tun.»
Meine Mutter macht ein sorgenvolles Gesicht, und dann stellt sie die Frage, die mir im Kopf herumgeht, die ich aber niemals ausgesprochen hätte. «Woher wisst ihr, dass Amber es sich nicht anders überlegt und das Baby zurückhaben will?»
Daphne antwortet geduldig, aber überzeugend. Anscheinend hat sie anfangs die gleiche Sorge gehabt und sich inzwischen davon abbringen lassen. «Tatsächlich ist es bei offenen Adoptionen weniger wahrscheinlich, dass die leiblichen Eltern es sich anders überlegen, Mutter. Sie leben eher im Frieden mit ihrer Entscheidung, weil sie sehen können, dass ihr Kind glücklich ist … Und man könnte sagen, dass eine offene Adoption in mancher Hinsicht auch für das Kind besser ist, weil es sich nicht sein Leben lang fragen muss, wer seine leibliche Mutter ist.»
Meine Mutter ist noch nicht überzeugt. «Wird es da irgendwelche … Beschränkungen geben?»
«Diese Agentur ist wirklich großartig, Vera», sagt Tony. «Sie helfen uns, einen auf uns zugeschnittenen Plan und Richtlinien für Besuche, Briefe und Telefonate aufzustellen. Wir arbeiten an den Details … Aber es ist klar, dass wir das Gleiche wollen wie Amber. Sie möchte ihn ein paarmal im Jahr sehen – aber nicht täglich hier sein oder so etwas. Sie möchte ihr eigenes Leben weiterführen.»
«Ja, aber was wollt ihr eurem Sohn sagen?», fragt meine Mutter. «Wird diese ganze Geschichte ihn nicht … durcheinanderbringen?»
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass eine so unorthodoxe Mutter wie unsere von dieser unkonventionellen Vereinbarung aus der Fassung gebracht wird. Ich sehe Maura an, dass sie das Gleiche denkt wie ich. Aber Daphne bleibt geduldig. «Überleg doch mal, Mutter», sagt sie. «Wenn eine Tante oder ein Onkel oder eine Großmutter zum Leben eines Kindes gehört, kommt es dann durcheinander?»
«Nein …», sagt meine Mutter.
Tony fällt ihr ins Wort. «Tja, aber das sind auch Blutsverwandte … Und da gibt es keine Verwirrung, nicht wahr?»
Meine Mutter nickt.
«Deine Eltern sind deine Eltern. Kinder wissen , wer ihre Eltern sind … Und der springende Punkt bei einer offenen Adoption ist, dass die leibliche Mutter das unterstützt. Sie hat uns ausgesucht. Amber würde ihre eigenen Pläne nicht durchkreuzen, indem sie sich in das Leben unseres Sohnes einmischt.»
Daphne fügt hinzu: «Die leibliche Familie eines Kindes ist ein Teil dessen, was es ist … Ob wir Amber nun kennen oder nicht – das ist immer der Fall. Und wir wollen, dass unser Sohn sie kennt. Wir glauben, so ist es am besten für alle … Ich weiß, theoretisch klingt es vielleicht verrückt. Aber wenn ihr Amber erst mal kennengelernt habt, werdet ihr sehen, dass es für alle Beteiligten das Richtige ist.»
Ich weiß, was Daphne damit meint. In der Theorie kann man etwas ganz anders sehen als dann, wenn es das eigene Leben und die Menschen darin betrifft. Allein an diesem Tisch hier könnte ich mehrere Beispiele für dieses Phänomen aufzählen: Theoretisch sollten meine Schwestern und ich – und vielleicht auch mein Vater – unsere Mutter hassen. Aber wir tun es nicht. Wir tolerieren, ja wir lieben sie trotz allem, was sie ist. Theoretisch sollte eine Frau den Mann, der sie betrügt, vielleicht verlassen. Aber in Mauras Fall ist das vielleicht nicht die richtige Lösung. Theoretisch wollte ich vielleicht keine Kinder haben. Vielleicht will ich immer noch keine. Aber wenn ich jetzt sehe, wie meine Schwester und Tony einander anschauen, stelle ich mir vor, wie es wäre, wieder mit Ben zusammen
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