Und trotzdem ist es Liebe
dass Tucker unmöglich zu allem Überfluss auch noch witzig sein kann. Das Leben ist nicht gerecht, nein, aber ich habe doch festgestellt, dass Gott sein Bestes getan hat, als er Humor und schönes Haar verteilte. Das muss mein letzter bewusster Gedanke gewesen sein, denn als ich aufwache, habe ich von Tucker geträumt. In diesem Traum habe ich sie noch einmal gegoogelt und festgestellt, dass sie samstags abends als Stand-up-Comedienne im Village auftritt. Aus den Viersternekritiken, die ich online finde, geht hervor, dass ihre Nummer mit wahnsinnig komischen Pointen über Mutterschaft und gutmütigen Sticheleien über ihren liebenden Ehemann gespickt ist.
Draußen ist es noch stockfinster; deshalb nehme ich an, dass es zwei oder drei Uhr ist, aber dann schaue ich auf die Uhr und sehe, es ist Punkt fünf. Spät genug, um den Tag zu beginnen.
Ich stehe auf und dusche lange und heiß. Dann ziehe ich mich an, als hätte ich nicht vor, den Lunch mit Ben zu canceln. Es ist, als rasierte ich mir vor einem ersten Date die Beine, obwohl ich weiß , dass ich die Hose anbehalten werde. Aber was ist, wenn ich Ben telefonisch nicht erreiche? Ich kann ihn ja nicht gut sitzenlassen. Und was ist, wenn der winzige Teil meiner selbst, der Ben unter allen Umständen noch einmal sehen will, sich gegen alle Vernunft durchsetzt?
Also ziehe ich mein schönstes Kostüm und meine Schuhe mit den höchsten Absätzen an. Ich föhne mir die Haare, bis sie makellos sitzen, und schminke mich mit größter Sorgfalt. Ich lege roten Lippenstift auf, weil roter Lippenstift mein Selbstbewusstsein fördert. Und als letzten Touch stecke ich Richards Ring an meine linke Hand. Ich weiß, dass ich hübsch aussehe – und Michaels und Jess’ Blicke bestätigen es mir, als ich aus meinem Zimmer komme.
«Verdammt, Mädel», sagt Michael und hebt den Blick von seinen Frühstücksflocken, «du siehst gut aus.»
Jess umarmt mich. «Ja. Zumindest hast du einen starken Abgang.»
Was sie da sagt, entgeht mir nicht. Trotz ihrer großen Sprüche darüber, wie ich Bens Verlobung zum Platzen bringen werde, hat selbst sie offenbar resigniert. Ich frage mich, was sich da über Thanksgiving geändert hat. Vielleicht liegt es daran, dass sie diese Zeit mit Michael verbracht hat und sich vorstellt, wie Ben das Gleiche bei Tuckers Familie erlebt hat.
«Danke, Jess», sage ich.
Sie sieht mich wehmütig an. «Sei stark.»
Michael nickt und wiederholt ihren Rat. Sie sind sich an allen Fronten einig. Ob sie irgendwann anfangen, sogar gleich auszusehen? Das wäre eine ziemliche Leistung für ein gemischtes Paar, aber den beiden traue ich inzwischen alles zu.
Ich fahre in den Verlag und nehme mir vor, Ben gegen zehn anzurufen. Aber den Vormittag über geht es wie verrückt zu, und ich muss tatsächlich ein paarmal Feuerwehr spielen. Es wird elf, und ich habe ihn immer noch nicht angerufen. Mir ist klar, dass es sich nicht gehören würde, knapp eine Stunde vor dem Termin noch abzusagen. Also muss ich jetzt ein großes Mädchen und keine Spielverderberin sein. Ich muss pünktlich sein, ihm in die Augen schauen und ihm zu seiner Verlobung gratulieren. Das gehört sich so.
Also sitze ich eine Dreiviertelstunde später im Taxi, fahre zu Pete’s Tavern, Ecke Irving Place und 18th, und übe, was ich sagen werde: Herzlichen Glückwunsch zur Verlobung, Ben. Ich freue mich für dich und Tucker und wünsche euch das Allerbeste . Aber dann betrete ich den Pub, der schon weihnachtlich mit weißen Zweigen, roten Lämpchen und lauter Weihnachtsmännern dekoriert ist, und sehe Ben mit seiner Zeitung. Alles, was ich mir zurechtgelegt habe, ist mit einem Schlag aus meinem Kopf verschwunden.
Der große Andrang zum Lunch hat noch nicht begonnen, und so hat Ben einen der berühmtesten Tische von New York für uns ergattern können: den Tisch, an dem O. Henry angeblich Das Geschenk der Weisen geschrieben hat. Während ich die paar Schritte zu meinem Exmann gehe, denke ich an den Satz aus O. Henrys Story, der sagt, «dass das Leben aus Schluchzen, Seufzen und Lächeln besteht, wobei das Seufzen überwiegt». Da hatte er wirklich recht.
Ben schaut von seiner Zeitung auf. Wir sehen uns an und nicken beide höflich. Er faltet die Zeitung zusammen und schiebt sie beiseite, und ich ziehe die Jacke aus und zwinge mich, Platz zu nehmen und hallo zu sagen. Mir zittern die Hände, und meine Stimme klingt fremd.
«Hallo», sagt Ben, und seinen Ton kann ich nicht deuten. Er klingt glücklich
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