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Und trotzdem ist es Liebe

Und trotzdem ist es Liebe

Titel: Und trotzdem ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Giffin
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sein. Wenn der Mann die Macht hat, behauptet sie, wird er sie in den meisten Fällen missbrauchen, weil er seinen angeborenen selbstsüchtigen, eigennützigen Instinkten nachgibt. Wenn die Frau dagegen die Macht hat, wird sie dazu neigen, eher im Interesse der Familie als in ihrem eigenen zu regieren. Deshalb sind matriarchale Gesellschaften friedlich und harmonisch. Und deshalb werden von Männern regierte Gesellschaften am Ende immer durch Kriege vernichtet.
    Als Annie mir diese Theorie auf dem College vortrug, versuchte ich natürlich, sie durch Geschichten über meine eigenen Eltern zu entkräften. Meine Mutter habe die ganze Macht, sagte ich, und handele nur in ihrem eigenen Interesse, während mein Vater der Gutmütige und Wohlmeinende sei. Aber wenn ich mich so umsah, musste ich widerwillig zugeben, dass Annie nicht Unrecht hatte und dass meine Familie anscheinend die Ausnahme von der Regel darstellte. Freundinnen, deren Eltern geschieden waren, hatten fast immer passive Märtyrerinnen als Mütter, und diejenigen, deren Eltern eine gute Ehe führten, hatten anscheinend allesamt starke Mütter mit hingebungsvollen Ehemännern.
    Jetzt beobachte ich Maura und stelle mir ihre Krönung zur gütigen Diktatorin vor: die Herrscherin, die Scott grausam mit einem Tiefkühlfertiggericht zu Hause hätte lassen können, nachdem sie ihn vom Thron gestoßen hat. Stattdessen hat sie ihn zu unserem Familienessen mitgebracht. Sie hat ihm eine Spur von Gnade und zumindest momentane Milde gezeigt. Manche würden sagen, das sei dumm oder feige. Aber als ich sie heute sehe, denke ich, es hat mehr mit Kraft und Mut zu tun, mit dem Wunsch, das Beste für ihre Kinder zu tun, und mit dem Bestreben, herauszufinden, was das ist. Aber Kinder hin, Kinder her, ich weiß auch, dass das Ende der Fahnenstange für sie erreicht ist. Sollte Scott das Glück haben, diesen Zwischenfall zu überleben, bin ich sicher, dass sie einen weiteren Betrug – ja selbst die Andeutung davon – nicht tolerieren wird. Dies ist seine letzte, seine allerletzte Chance zur Buße, und es ist Scott anzusehen, dass er es weiß.
    Ich frage mich nur, ob der reine Wille zur Vergebung schon genügen kann, um für meine Schwester und ihre Familie alles in Ordnung zu bringen. Denn Macht ist schließlich nur die eine Sache. Liebe ist etwas ganz anderes.

    Als der Truthahn fertig ist, werden wir aufgefordert, ins Esszimmer umzuziehen. Tony fragt, ob wir das Spiel nicht zu Ende sehen und dabei von Tabletts essen können, aber Daphne würdigt das keiner Antwort. Sie ignoriert ihn und sagt: «Jeder nimmt sich sein Glas und kommt mit!»
    Dwight übernimmt die Führung, ein Glas Wein in der einen Hand, eine Dose Dr.   Pepper light in der anderen. Als er um die Ecke kommt, dröhnt er: «Hooo! Achtung! Es gibt eine Sitzordnung!»
    Tatsächlich – Daphne hat kleine Tischkärtchen aufgestellt, die sie aus braunem Bastelkarton und mit Aufklebern gemacht hat. Die gleichen in Klein stehen auf einem Kartentisch für Zoe, Patrick und William.
    Maura umkreist neugierig den Tisch und inspiziert die Karten, wie man es bei einer Hochzeit tut. Flink vertauscht sie Scotts Karte mit Dwights, sodass sie nicht neben ihrem Mann sitzt. Scott sieht es mit Stirnrunzeln. Wir andern tun so, als hätten wir es nicht bemerkt, und nehmen unsere Plätze ein.
    Tony spricht das Tischgebet, und dann besteht Daphne darauf, dass die Familientradition gewahrt bleibt: Jeder von uns muss etwas nennen, wofür er dankbar ist. Ich persönlich halte das für eine ziemlich gefährliche Veranstaltung angesichts der prekären Lebensumstände, in denen wir uns an diesem speziellen Thanksgiving-Donnerstag befinden. Aber ich werde keine schlafenden Hunde wecken. Lieber überlege ich hektisch, was ich Unverfängliches sagen könnte.
    Daphne erteilt letzte Anweisungen. «Und nicht vergessen: keine Wiederholungen.» Dann sagt sie: «Dwight, du fängst an.»
    Dwight lächelt und sagt: «Okeydokey. Ich bin dankbar für das Essen auf diesem Tisch, das Daphne für uns gekocht hat. Alles sieht großartig aus!»
    «Verdammt, Dwight!», sage ich. «Das war mein Spruch!»
    Dwight lacht. «Außerdem bin ich dankbar dafür, dass ich anfangen durfte.»
    Zoe kräht, sie will als Nächste an die Reihe kommen. Sie sagt, sie ist dankbar, dass ihr Kopf wieder heil ist und dass sie letztes Wochenende so viel Spaß mit Tante Claudia hatte. Ich lächle. Dann will sie für Patrick und William sprechen, und sie sagt, ihre Brüder sind dankbar

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