Und wenn wir fliehen (German Edition)
Tobias war wieder da. Welches kleine bisschen Hoffnung ich auch immer in mir gehabt hatte, in diesem Augenblick verpuffte es. Er hatte nicht sofort verkündet, dass es Zeit sei aufzubrechen. Und das bedeutete, dass er den Truck nicht gefunden hatte, weder intakt noch sonst irgendwie.
Kurz darauf klopfte Leo an die Schlafzimmertür. »Tobias schiebt Wache, und Justin und ich ziehen los, um irgendwo ein Auto aufzutreiben«, sagte er. »Der Truck ist weg.«
Es lag eine Frage in seiner Stimme – was ist mit der Zeit? Und vor meinem inneren Auge spielte sich plötzlich eine Szene ab: ich, wie ich die Schlafzimmertür verbarrikadierte und mit ihnen ging. Gav, der aus dem Fenster nach jemandem schrie, der ihn herausließ, damit er nach mir suchen konnte. Ich wischte die Bilder schnell weg.
»Ich komme mit«, sagte Gav und rappelte sich auf. Ich hielt ihn am Handgelenk fest. »Es geht mir gut«, behauptete er, obwohl er völlig wackelig auf den Beinen war. »Ich kann euch helfen.«
»Wir zwei bleiben hier«, sagte ich und zog ihn zurück aufs Bett. »Wir schauen uns die Karte an und finden raus, welcher der beste Weg aus der Stadt ist. Ich bin viel zu müde, um lange rumzulaufen«, fügte ich noch hinzu.
Der letzte Teil schien ihn zu überzeugen. Er lehnte sich an die Wand und nieste. »Atlanta, stimmt’s?«, fragte er. »Soll mir recht sein. Obwohl ich immer zuerst nach Kalifornien wollte, wenn ich jemals in die Staaten käme. Hörte sich so an, als wär das ’ne ziemlich coole Gegend. Aber dann gehen wir eben später nach Kalifornien. Wieso nicht?«
»Sicher«, antwortete ich. »Und jetzt hol ich dir was zum Frühstück.«
»Kotz«, sagte Gav. »Ich hab wirklich genug von diesem ganzen Dosenkram. Mein Magen ist schon ganz … bäh.«
»Ich schau mal, was ich auftreiben kann«, versprach ich und versuchte, das Zittern meiner Lippen mit einem Lächeln zu tarnen.
Er weigerte sich, die Suppe zu essen, die ich ihm brachte, noch nicht einmal eine Tasse Tee wollte er trinken. Seine Stimme wurde immer rauer, während er ständig weiterfaselte. Erst am späten Nachmittag döste er wieder ein. Ich blieb bei ihm, bis ich sicher war, dass er schlief und zog ihm die Decke hoch, bevor ich hinaus in die Wohnung ging. Ich war gerade in der Küche, starrte auf unsere Päckchen und Dosen und überlegte, was ich ihm geben könnte, das er auch essen würde, als die anderen hereinkamen.
Sie unterhielten sich leise, doch in ihren Stimmen lag ein zorniger Unterton. Als sie mich sahen, verstummten sie. Ich erwartete das Schlimmste.
»Was ist?«, fragte ich.
»Wir haben keinen brauchbaren Wagen gefunden«, antwortete Leo. »Und Justin meint sowieso, wir sollten jetzt gleich aufbrechen.«
»Aus gutem Grund!«, rief Justin. Sein Blick zuckte Richtung Schlafzimmertür. Als ich die Arme vor der Brust verschränkte und darauf wartete, dass er weitersprach, presste er die Lippen aufeinander. »Ich weiß, wie sie am Ende werden«, murmelte er dann. »Bald schon wird er durchdrehen und brüllen und schreien, oder etwa nicht? Wie willst du dann verhindern, dass dieser Michael uns findet?«
»Sie fahren immer noch Patrouille«, schob Tobias dazwischen. »Als ich Wache hatte, bin ich kurz raus in eine Seitengasse, weil ich mal pinkeln musste, und als ich wieder zurück wollte, kam ein Geländewagen die Straße runter: schwarz, getönte Scheiben. Der Typ, der gefahren ist, hat das Fenster runtergekurbelt und gefragt, ob ich allein wäre. Ich sagte ja und hab mich freundlich verhalten. Er schien nicht misstrauisch zu sein. Aber wenn sie wiederkommen und irgendwas hören …«
»Ihr wollt also laufen?«, fragte ich und mich fröstelte. Ich war mir nicht sicher, ob Gav das konnte, nicht weit genug jedenfalls, damit es etwas brachte. »Meint ihr nicht, das wäre irgendwie auffällig, fünf Leute mit Schlitten voll Proviant? Selbst wenn sie nicht direkt an uns vorbeifahren, wir würden ’ne ziemlich deutliche Spur hinterlassen, und wir bräuchten mindestens einen halben Tag, bloß um aus der Stadt rauszukommen.«
»Im Moment liegt nicht mehr viel Schnee auf den Bürgersteigen«, erwiderte Leo. »Wir könnten es schaffen. Wenn du meinst, dass Gav dazu in der Lage ist.«
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. Doch das tat ich. Er konnte kaum aufstehen. Selbst wenn ich ihn dazu bringen würde, etwas zu essen, selbst wenn ich ihn den ganzen Weg lang stützte … »Er ist ziemlich schwach. Und es ist wahrscheinlich nicht so einfach, ihn ruhig zu
Weitere Kostenlose Bücher