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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Höhnen und Herumerzählen angefangen hätte.
    Wie ich damals nach Hause gelangte, weiß ich heute nicht mehr. Ich erinnere mich nur, der erste Griff riß den Schrank auf, wo die Flasche Slibowitz für meine Besucher stand, und ich kippte zwei, drei halbe Wassergläser herunter, um die gräßliche Übelkeit in der Kehle loszuwerden. Dann warf ich mich hin auf das Bett, angezogen wie ich war, und versuchte nachzudenken. Aber wie Blumen in einem Treibhaus ein hitzigeres und tropischeres Wachstum bekommen, so Wahnvorstellungen im Dunkeln. Wirr und phantastisch schießen sie dort im schwülen Grunde auf zu grellen Lianen, die einem den Atem würgen, und mit der Geschwindigkeit von Träumen formen und jagen sich die absurdesten Angstbilder im überhitzten Gehirn. Blamiert auf Lebenszeit, dachte ich mir, ausgestoßen aus der Gesellschaft, bespöttelt von den Kameraden, beschwätzt von der ganzen Stadt! Nie mehr werde ich das Zimmer verlassen, nie mehr mich auf die Straße wagen können, aus Furcht, einem von denen zu begegnen, die um mein Verbrechen wußten (denn alsVerbrechen empfand ich in jener Nacht der ersten Überreizung meine simple Dummheit und mich selbst als Gejagten und Gehetzten des allgemeinen Gelächters). Als ich dann schließlich einschlief, kann es nur ein dünner, undichter Schlaf gewesen sein, unter dem mein Angstzustand fiebernd weiterarbeitete. Denn gleich beim ersten Augenaufschlag steht wieder das zornige Kindergesicht vor mir, ich sehe die zuckenden Lippen, die krampfig an den Tisch gekrallten Hände, ich höre das Poltern jener fallenden Hölzer, von denen ich jetzt nachträglich begreife, daß es ihre Krücken gewesen sein mußten, und eine blöde Angst überkommt mich, es könne auf einmal die Tür aufgehen und – schwarzer Rock, weißer Vorstoß, goldene Brille – stapft mit seinem dürren, gepflegten Ziegenbärtchen der Vater heran bis an mein Bett. In der Angst springe ich auf. Und wie ich jetzt vor dem Spiegel in mein von Nacht- und Angstschweiß feuchtes Gesicht starre, habe ich Lust, dem Tölpel hinter dem blassen Glas mitten ins Gesicht zu schlagen.
    Aber glücklicherweise, es ist schon Tag, Schritte poltern im Gang, Karren unten auf dem Pflaster. Und bei hellen Fensterscheiben denkt man klarer als eingesackt in jene böse Dunkelheit, die gerne Gespenster schafft. Vielleicht, sage ich mir, ist doch nicht alles so fürchterlich. Vielleicht hat es gar niemand bemerkt. Sie freilich – sie wird es nie vergessen, nie verzeihen, die arme Blasse, die Kranke, die Lahme! Da blitzt ein hilfreicher Gedanke jählings in mir auf. Hastig kämme ich mein verrauftes Haar, fahre in die Uniform und laufe an meinem verdutzten Burschen vorbei, der mir in seinem armen ruthenischen Deutsch verzweifelt nachruft: »Herr Leutnant, Herr Leutnant, schon fertig ist Kaffee.«
    Ich sause die Kasernentreppe hinunter und flitze so rasch an den Ulanen, die halb angezogen im Hof herumstehen, vorbei, daß sie gar nicht recht Zeit haben, strammzu machen. In einem Saus bin ich an ihnen vorüber und beim Kasernentor draußen; geradewegs hin zum Blumengeschäft auf dem Rathausplatz laufe ich, soweit Laufen für einen Leutnant statthaft ist. In meiner Ungeduld habe ich natürlich völlig vergessen, daß um halb sechs Uhr morgens Geschäfte noch nicht offen sind, aber glücklicherweise handelt die Frau Gurtner außer mit Kunstblumen auch mit Gemüsen. Ein Karren mit Kartoffeln steht halb abgeladen vor der Tür, und wie ich heftig an das Fenster klopfe, höre ich sie schon die Treppe heruntertrappen. In der Hast erfinde ich eine Geschichte: ich hätte gestern total vergessen, daß heute der Namenstag von lieben Freunden sei. In einer halben Stunde rückten wir aus, darum möchte ich gern, daß die Blumen gleich abgeschickt würden. Also Blumen her, rasch, die schönsten, die sie hätte! Sofort schlurft die dicke Händlerin, noch in der Nachtjacke, auf ihren löchrigen Pantoffeln weiter, schließt den Laden auf und zeigt mir ihren Kronschatz, ein dickes Büschel langstieliger Rosen: wie viele ich davon haben wollte? Alle, sage ich, alle! Nur so einfach zusammenbinden, ober ob es mir lieber wäre in einem schönen Korb? Ja, ja, einen Korb. Der Rest meiner Monatsgage geht auf die splendide Bestellung, in den letzten Tagen des Monats werde ich dafür das Abendessen und das Kaffeehaus mir abknausern müssen oder Geld ausleihen. Aber das ist mir im Augenblick gleichgültig oder vielmehr, es freut mich sogar, daß mich meine Narrheit

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