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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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alle hätten mich verurteilt, so wie ich mich selber verurteilte,alle hielten mich für einen Mörder, weil ich mich selber so nannte. Während das ganze Reich vor Erregung bebte, während rings im verstörten Europa alle Drähte wie glühend zitterten von Schreckensnachrichten, während die Börsen wankten, die Armeen mobilisierten und die Vorsichtigen bereits ihre Koffer packten, dachte ich nur an meinen feigen Verrat, an meine Schuld. Weggerufen zu werden von mir selbst, bedeutete darum Befreiung für mich; der Krieg, der Millionen Unschuldige hinabgerissen, hat mich, den Schuldigen, vor Verzweiflung gerettet (aber ich rühme ihn darum nicht).
    Mich ekeln pathetische Worte. So sage ich nicht etwa: ich habe damals den Tod gesucht. Ich sage nur: ich habe ihn nicht gefürchtet, zum mindesten weniger gefürchtet als die meisten, denn in manchen Augenblicken schien mir eine Rückkehr in das Hinterland, wo ich die Mitwisser meiner Schuld wußte, furchtbarer als alles Grauen der Front – und wohin auch hätte ich zurück sollen, wer brauchte mich, wer liebte mich noch, für wen, wofür sollte ich leben? Sofern tapfer sein nichts Anderes, nichts Höheres bedeutet, als sich nicht fürchten, darf ich getrost und ehrlich behaupten, im Felde tatsächlich tapfer gewesen zu sein, denn selbst was den männlichsten meiner Kameraden schlimmer schien als Sterben – selbst die Möglichkeit des Verkrüppelt-, des Verstümmeltwerdens, schreckte mich nicht. Als Strafe, als gerechte Rache hätte ich es wahrscheinlich empfunden, selber hilflos, ein Krüppel zu werden, Beute jedes fremden Mitleids, weil das meine damals zu feige, zu schwächlich gewesen war. Wenn der Tod mir nicht begegnete, lag das Versäumnis also nicht an mir; ich bin ihm mit dem kalten Blick des Gleichgültigen Dutzende Male entgegengegangen. Wo etwas besonders Schweres zu tun war, wo man Freiwillige forderte, meldete ich mich. Wo es scharf auf scharfging, fühlte ich mich wohl. Nach meiner ersten Verwundung ließ ich mich zur Maschinengewehrkompagnie und später zu den Fliegern transferieren; anscheinend ist mir dort wirklich auf unseren elenden Apparaten allerhand gelungen. Aber immer, wenn ich in einem Erlaß das Wort »Tapferkeit« im Zusammenhang mit meinem Namen gedruckt fand, hatte ich das Gefühl eines Betrügers. Und wenn jemand zu scharf auf meine Auszeichnungen blickte, bog ich rasch zur Seite.
    Als dann die vier endlosen Jahre vorüber waren, entdeckte ich zu meiner eigenen Überraschung, daß ich in jener früheren Welt trotzdem wieder zu leben vermochte. Denn wir vom Hades Heimkehrenden wogen alle Dinge mit einem neuen Gewicht. Den Tod eines Menschen auf dem Gewissen zu haben, galt einem Weltkriegssoldaten nicht mehr das gleiche wie dem Menschen der Friedenswelt; meine eigene private Schuld, sie hatte sich in dem riesigen Blutsumpf völlig aufgelöst in die allgemeine; denn dasselbe Ich, dieselben Augen, dieselben Hände, hatten doch auch das Maschinengewehr eingestellt, das bei Limanova die erste Welle der russischen Infanterie vor unserem Graben hinmähte, selbst hatte ich mit dem Feldstecher nachher die grassen Augen der durch mich Getöteten, der durch mich Verwundeten gesehen, die im Stacheldraht stundenlang noch stöhnten, ehe sie elend verreckten. Ich hatte vor Görz ein Flugzeug heruntergeholt; dreimal überschlug es sich in der Luft, ehe es mit aufzuckender Stichflamme am Karstgestein zerschellte, und mit eigener Hand hatten wir dann die verkohlten und noch grausig schwelenden Leichen nach der Erkennungsmarke abgesucht. Abertausende, die neben mir in Reih und Glied marschierten, hatten das gleiche getan, mit dem Karabiner, dem Bajonett, dem Flammenwerfer, dem Maschinengewehr und der nackten Faust, Hunderttausende und Millionen meiner Generation in Frankreich, inRußland und Deutschland – was galt da ein einzelner Mord noch viel, was eine private, persönliche Schuld innerhalb der tausendfältigen und kosmischen, dieser fulminantesten Massenzerstörung und Massenvernichtung menschlichen Lebens, die bisher die Geschichte gekannt?
    Und dann – erneute Entlastung – in dieser Rückwärtswelt stand kein Zeuge mehr wider mich. Niemand konnte den für besondere Tapferkeit Ausgezeichneten seiner einstigen Feigheit bezichtigen, niemand mehr mir meine verhängnisvolle Schwachheit vorwerfen. Kekesfalva hatte den Tod seiner Tochter nur um wenige Tage überlebt, Ilona wohnte als kleine Notarsgattin in einem jugoslawischen Dorf, der Oberst Bubencic

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