Lady Sunshine und Mister Moon
1. KAPITEL
I ch weiß nicht, was ich noch mit ihm machen soll“, klagte Carly Jacobsen. Zusammen mit ihrer Kollegin Michelle posierte sie für eine Gruppe Japaner. Touristen ließen sich immer wieder gern mit echten Showgirls aus Las fotografieren. „Er ist stur und eigensinnig. Und er hört mir überhaupt nicht zu.“
„Mit anderen Worten: ein typischer Vertreter des männlichen Geschlechts.“
Carly schnaubte. „Das kann man wohl sagen.“ Obwohl ihre Füße schmerzten, lächelte sie freundlich in die Kameras. Sie versuchte sich nicht wie eine Amazone vorzukommen, weil sie die japanischen Touristen um Haupteslänge überragte. Gott sei Dank trugen sie die braunen Bubikopf-Perücken der letzten Vorstellung und nicht die Hochfrisuren vom Auftritt davor. Damit wären sie mindestens noch einen Kopf größer gewesen.
„Sieh es doch einfach mal so“, murmelte Michelle, während sie posierte. „Wenigstens hat er vier Beine – nicht wie der Kerl, mit dem ich zusammenlebe.“
„Da ist was dran“, stimmte Carly zu. „Rufus ist zwar ein eigensinniger kleiner Hund, aber es gibt immerhin etwas Hoffnung, dass er sich am Ende doch noch erziehen lässt.“
„Und das ist mehr, als man von den meisten Männern sagen kann.“
„Stimmt.“ Carly wollte nie mit einem Mann zusammenleben. Dennoch … „Andererseits hast du regelmäßig Sex, während ich nur noch eine schwache Ahnung davon habe, was das überhaupt ist.“
Sie änderten noch ein paarmal die Posen, bevor sie sich von den Touristen zurückzogen, die sich dankbar lächelnd vor ihnen verneigten. Carly bedachte sie ebenfalls mit einem strahlenden Lächeln. Sie mochte diese Japaner wirklich gern und schätzte ihre Freundlichkeit sehr, denn in ihrem Metier waren gute Manieren eher selten. Vor allem seitens der männlichen Hälfte der Bevölkerung.
„Wollen wir noch was trinken?“, fragte Michelle, als sie einen Augenblick später das Casino durchquerten.
„Nein, ich muss nach Hause. Da warten ein paar hungrige Mäuler auf mich.“ Carly ließ Michelle in der Lounge zurück und ging in die Garderobe. Dort tauschte sie ihr Kostüm gegen ihre private Kleidung. Sie tanzte schon so lange in „ La Stravaganza“ , einer großen Show im italienisch angehauchten Avventurato Resort Hotel and Casino ; die Geräusche um sich herum nahm sie kaum noch wahr. In dieser Nacht war sie ganz besonders erschöpft. Sie hatte die letzte Nacht damit verbracht, sich über Rufus den Kopf zu zerbrechen. Er war ihr neuestes Baby – so nannte sie die Tiere, die sie aus dem Tierheim gerettet hatte. Die Grübelei darüber, wie sie ihm sein aufsässiges Verhalten abgewöhnen konnte, hatte ihr jedoch den Schlaf geraubt. Rufus wollte einfach nicht gehorchen. Und dank ihres neuen Nachbarn fürchtete sie, dass das Schicksal der kleinen Promenadenmischung bereits besiegelt war.
Deshalb bewirkten das Gedudel der Spielautomaten, das Klackern der Roulettekugeln und die Triumphschreie der Spieler nur, dass ihr Kopf von der linken Seite her zu schmerzen begann. Vielleicht aber geriet Carly, die normalerweise mit beiden Beinen auf der Erde stand, auch deshalb ins Stolpern.
Sie stieß mit einer kleinen weißhaarigen Dame zusammen, die einen Eimer voller Silberdollars und eine große Handtasche bei sich trug. Eigentlich nur ein kleines Missgeschick – wäre Carly nicht gerade dabei gewesen, die Treppe hinaufzugehen. Der Absatz ihrer einen Riemchensandalette brach ab. Carly verlor das Gleichgewicht und griff nach dem Geländer.
Ihre Fingerspitzen berührten es nur kurz, bevor sie abrutschte. Obwohl es ihr gelang, nicht hintenüberzufallen, landete sie mit einem verdrehten rechten Bein in einer ziemlich unwürdigen Pose auf dem Boden. Ihren Lippen entschlüpfte ein derber Fluch, als der Schmerz in ihren Knöchel schoss.
Um sie herum ertönten Schreie, und sie nahm entfernt wahr, dass sich Menschen näher drängten. Einer davon beugte sich über sie. „Ist alles in Ordnung?“
Carly blickte in sein Gesicht. Er hatte hellbraunes Haar, das die blinkenden Lichter der Spielautomaten reflektierte. Trotz ihres eingetrübten Bewusstseins bemerkte sie, dass er extrem gut aussah. Allerdings fehlte ihm genau die Schneidigkeit, die sie an Männern anzog – dieses gewisse Etwas, das Männer zu Testosteronbomben machte. So würde ihre Freundin Treena es zumindest ausdrücken.
Und so blieb sein Gesicht eines von vielen. Als sie den Blick von ihm abwandte, bemerkte sie, dass sich eine Menschentraube um
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