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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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und mache kehrt.
    Aber etwas muß selbst dieser dumpfe Mensch bemerkt haben. Etwas muß ihm in meinem Blick oder meinem Gang verdächtig geworden sein, denn er kommandiert scharf in meinen Rücken: »Hofmiller, herstellt!«
    Ich reiße mich herum. Er zieht die Brauen hoch, mustert mich eindringlich, dann murrt er, bissig und gutmütig zugleich:
    »Du, Kerl, du g'fallst mir nicht. Mit dir is was los. Mir scheint, du willst mich zum Narren halten, du hast einen Unsinn vor. Aber ich duld nicht, daß du wegen so einer Scheißsache Dummheiten machst ... mit dem Revolver oder so ... ich duld's nicht ... hast verstanden?«
    »Zu Befehl, Herr Oberst.«
    »Ah was, kein ›zu Befehl‹! Mir macht man nix vor. Ich bin kein heuriger Has.« Seine Stimme wird weicher. »Gib mir die Hand.«
    Ich reichte sie ihm. Er hält sie fest.
    »Und jetzt« – er sieht mir scharf in die Augen – »jetzt, Hofmiller, dein Ehrenwort, daß du heut nacht keine Dummheiten machst! Dein Ehrenwort, daß du morgen um halb sechs hier gestellt bist und nach Czaslau abrückst.«
    Ich halte dem Blick nicht stand.
    »Mein Ehrenwort, Herr Oberst.«
    »No, dann is gut. Weißt, mir hat so was g'spannt, daß d' in der ersten Rage ein Blödsinn anstellen könntst. Bei euch fuchtige junge Leut weiß man ja nie ... ihr seid's immer gleich fertig mit allem, auch mit dem Revolver ... Nachher wirst schon selber vernünftig werden. So was übertaucht man schon. Wirst sehn, Hofmiller, gar nix wird aus der ganzen Sach, gar nix! Das bügel ich aus bis auf die letzte Falten, und ein zweitesmal wird dir so ein Blödsinn nicht mehr passieren. Na – und jetzt geh – wär doch schad gewesen um einen wie dich.«
    Unsere Entschlüsse sind in viel höherem Maß von der Anpassung an Stand und Umgebung abhängig, als wir geneigt sind, uns einzugestehen. Ein beträchtlicher Teil unseres Denkens schaltet bloß längst übernommene Eindrücke und Einflüsse automatisch weiter, und besonders, wer im Drill soldatischer Disziplin von Kindheit an erzogen wurde, unterliegt der Psychose eines Befehls wie einem unwiderstehlichen Zwang. Jedes militärische Kommando hat über ihn eine logisch völlig unbegreifliche, willensauflösende Macht. In der Zwangsjacke der Uniform erfüllt er, selbst wenn er der Sinnlosigkeit eines Auftrags völlig gewahr ist, die Vorschrift wie ein Schlafwandler, widerstandslos und fast unbewußt.
    Auch ich, der ich von meinen fünfundzwanzig Jahren die fünfzehn wahrhaft ausformenden in der Militärschule und in der Kaserne verbracht hatte, hörte von der Sekunde an, da ich den Befehl des Obersten entgegengenommen, sofort auf, selbständig zu denken oder zu handeln. Ich überlegte nicht mehr. Ich gehorchte nur noch. Mein Gehirn wußte nichts als das eine, daß ich um halb sechs Uhr marschbereit gestellt zu sein hätte und bis dahin alle Vorbereitungen klaglos treffen mußte. So weckte ichmeinen Burschen, teilte ihm knapp mit, wir hätten infolge dringenden Befehls morgen nach Czaslau abzugehen, packte mit ihm meine Sachen Stück für Stück. Mit Mühe wurden wir fertig, und Schlag halb sechs stand ich befehlsgemäß im Zimmer des Obersten, um die dienstlichen Papiere entgegenzunehmen. Unbemerkt, wie er befohlen, verließ ich die Kaserne.
    Freilich, diese hypnotische Willenslähmung hielt nur genau so lange an, als ich mich im Geviert des militärischen Machtbereichs befand und mein Auftrag noch nicht restlos erfüllt war. Mit dem ersten Ruck der Maschine, der den Zug in Bewegung setzte, fiel die Betäubung bereits von mir ab, und wie einer, der durch den Luftdruck eines einschlagenden Geschosses umgeschleudert wurde, auftaumelt und staunend entdeckt, daß er unversehrt ist, schrak ich auf. Mein erstes Erstaunen war: ich lebte noch. Mein zweites: ich saß in einem rollenden Zug, weggerissen von meiner täglichen, gewöhnlichen Existenz. Und kaum, daß ich mich zu erinnern begann, jagte es heran in fiebernder Eile. Ich hatte doch Schluß machen wollen und jemand hatte mir die Hand weggerissen vom Revolver. Der Oberst hatte gesagt, er wolle alles ordnen. Aber doch nur – konstatierte ich ganz verstört – soweit es das Regiment und meinen sogenannten »guten Ruf« als Offizier betraf. Jetzt vielleicht standen die Kameraden vor ihm in der Kaserne, und selbstverständlich versprachen sie ihm mit Ehre und Eid, kein Wort über den Vorfall verlauten zu lassen. Aber was sie innerlich denken, kann kein Befehl verhindern, alle müssen sie merken, daß ich feige abgepascht

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