Ungeduld des Herzens.
Solidarität. Genau wie er keinen Tupf Staub auf einer Ulanka, keinen Kotspritzer auf dem Sattel beim letzten Soldaten ertrug, duldete er nicht die geringste Ungerechtigkeit; jeden Skandal im Regiment empfand er wie einen Hieb gegen die eigene Ehre. Wir gehörten zu ihm und wußten genau, daß, wenn einer etwas ausgefressen hatte, er am klügsten tat, geradewegs zu ihm zu gehen, worauf er einen zunächst angrobste, dann aber sich doch in die Stiefel steckte, um einen aus dem Schlamassel herauszupaddeln. Wenn es hieß, ein Avancement durchzusetzen oder einem, der in die Patsche geraten war, einen Vorschußaus dem Albrechtsfonds herauszufechten, dann hielt er stramm, fuhr stracks ins Ministerium und stemmte mit seinem dicken Schädel die Sache durch. Gleichgültig, wie er uns ärgerte und trakassierte, wir spürten eben alle in einem versteckten Winkel unseres Herzens, daß dieser Bauernkerl aus dem Banat auf seine plumpe und bornierte Art treuer und ehrlicher als alle Nobeloffiziere den Sinn und die Tradition der Armee verteidigte, diesen unsichtbaren Glanz, von dem wir, die schlechtbezahlten Subalternoffiziere, innerlich mehr lebten als von unserer Gage.
So war dieser Oberst Svetozar Bubencic, der Oberschinder unseres Regiments, hinter dem ich jetzt die Treppe emporstieg; und genau so männlich und borniert, dummehrlich und ehrenhaft, wie er uns zeitlebens zusetzte, hat er sich selber zur Rechenschaft gezogen. Als im serbischen Feldzug nach dem Debakel Potioreks gerade noch neunundvierzig Ulanen von unserem blitzblank ausgerückten Regiment heil über die Save zurückkamen, blieb er als letzter auf dem feindlichen Ufer und tat dann angesichts des panikartigen Rückzugs, den er als schmählich für die Ehre der Armee empfand, was von allen Führern und hohen Offizieren des Weltkriegs nur die wenigsten nach Niederlagen getan: er nahm seinen schweren Dienstrevolver und schoß sich eine Kugel vor den Kopf, um nicht Zeuge sein zu müssen von Österreichs Untergang, den er im furchtbaren Bilde jenes zurückflüchtenden Regiments mit seinen dumpfen Sinnen prophetisch vorausgefühlt.
Der Oberst schloß auf. Wir traten in sein Zimmer, das in seiner spartanischen Nüchternheit eher einer Studentenbude glich: ein eisernes Feldbett – er wollte in keinem besseren schlafen als Franz Joseph in der Hofburg – zweiFarbdrucke, der Kaiser rechts, die Kaiserin links, vier oder fünf billig gerahmte Erinnungsphotographien von der Ausmusterung und Regimentsabenden, ein paar überkreuzte Säbel und zwei türkische Pistolen – das war alles. Kein bequemer Fauteuil, keine Bücher, gerade nur vier Strohsessel um einen harten leeren Tisch.
Bubencic strich sich heftig den Schnurrbart, einmal, zweimal, dreimal. Wir kannten alle diese stoßhafte Bewegung; sie galt bei ihm als das sichtlichste Zeichen gefährlicher Ungeduld. Schließlich knurrte er kurzatmig, ohne mir einen Sessel anzubieten:
»Tu dich kommod! Und jetzt keine Faxen – schieß los. Schwulitäten mit Geld oder Weiberg'schichten?«
Es war mir peinlich, im Stehen sprechen zu müssen, überdies empfand ich mich im scharfen Licht zu sehr seinem ungeduldigen Blick ausgesetzt. So wehrte ich nur rasch ab, es handle sich keineswegs um eine Geldangelegenheit.
»Also Weiberg'schichten! Schon wieder! Daß ihr Kerle keine Ruh geben könnt's! Als ob's nicht Weiber g'nug gab, bei denen das verdammt einfach geht. Aber weiter jetzt, und ohne viel Faxereien – wo liegt der Hund begraben?«
Ich referierte mit möglichster Knappheit, daß ich mich heute mit der Tochter des Herrn von Kekesfalva verlobt hätte und drei Stunden später die Tatsache einfach abgeleugnet. Aber er möge keinesfalls glauben, daß ich nachträglich die Unehrenhaftigkeit meiner Handlungsweise zu beschönigen wünsche – im Gegenteil, ich sei nur gekommen, um ihm als meinem Vorgesetzten privat mitzuteilen, daß ich mir der Konsequenzen voll bewußt sei, die ich als Offizier aus meinem unkorrekten Verhalten zu ziehen hätte. Ich wüßte, was meine Pflicht sei, und würde sie erfüllen.
Bubencic glotzte mich ziemlich verständnislos an.
»Was redst da für Unsinn? Unehrenhaftigkeit und Konsequenzen? Ja woher denn und wieso denn? Da ist doch gar nix dabei. Mit der Tochter vom Kekesfalva, sagst, hast dich verlobt? Die hab ich einmal g'sehn – sonderbarer Gusto, das ist doch eine ganz verknackste, verwachsene Person. Na, und hast dir's halt nachher wieder überlegt. Da ist doch nix dabei. Das hat schon einmal
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