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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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ruhig oben auf dem Zimmer warten. Ich laufe sofort hinauf, sowie die Verbindung kommt.«
    Aber ich lehne ab. Nicht noch einmal das Gespräch verpassen. Keine Minute will ich verlieren. Ich muß wissen, was geschehen ist, denn etwas – das fühle ich schon – ist viele Kilometer weit geschehen. Telephoniert kann nur Condor haben oder die draußen. Nur er kann ihnen die Hoteladresse gegeben haben. Jedenfalls muß es wichtig, muß es dringend gewesen sein, sonst reißt man nicht mitternachts jemanden aus dem Bett. In allen Nerven vibriert's: man braucht mich, man benötigt mich!Irgend jemand will etwas von mir. Irgend jemand hat mir etwas Entscheidendes zu sagen, woran Tod und Leben hängt. Nein, ich darf nicht fort, ich muß auf meinem Posten bleiben. Keine Minute will ich versäumen.
    So setze ich mich auf den harten Holzsessel, den mir der Portier etwas verwundert hinstellt, und warte, die nackten Beine unter dem Mantel verborgen, den Blick starr auf den Apparat gerichtet. Ich warte eine Viertelstunde, eine halbe Stunde, zitternd vor Unruhe und vielleicht Kälte, dazwischen immer wieder mit dem Hemdärmel den plötzlich aufbrechenden Schweiß von der Stirne wischend. Endlich – rrr – eine Klingel. Ich stürze hin, reiße den Hörer: jetzt, jetzt werde ich alles erfahren!
    Aber es ist ein dummer Irrtum, auf den der Portier mich sofort aufmerksam macht. Nicht das Telephon hat geklingelt, sondern draußen die Hausglocke; der Portier schließt eilig einem verspäteten Pärchen auf. Mit einem Mädchen rasselt ein Rittmeister durch die geöffnete Haustür, wirft vorübergehend einen verwunderten Blick in die Portierloge auf den sonderbaren Menschen, der ihn mit bloßem Hals und nackten Beinen aus einem Offiziersmantel anstarrt. Mit sehr flüchtigem Gruß verschwindet er samt seinem Mädchen auf der halbdunklen Treppe.
    Jetzt ertrage ich es nicht mehr. Ich drehe die Kurbel und frage die Telephonistin:
    »Ist der Anruf noch nicht gekommen?«
    »Welcher Anruf?«
    »Wien ... ich glaube aus Wien ... vor mehr als einer halben Stunde.«
    »Ich frage gleich nochmals nach. Einen Augenblick.«
    Der Augenblick dauert lang. Endlich das Signal. Aber das Telephonfräulein beruhigt nur:
    »Ich habe schon rückgefragt: noch kein Bescheid. Nur noch ein paar Minuten, ich rufe Sie gleich auf.«
    Warten! Noch ein paar Minuten warten! Minuten!Minuten! In einer Sekunde kann ein Mensch sterben, ein Schicksal sich entscheiden, eine Welt zugrunde gehen! Warum läßt man mich warten, so verbrecherisch lang warten? Das ist ja Marter, das ist ja Wahnsinn! Die Uhr zeigt schon halb zwei. Eine Stunde sitze ich hier schon herum und schaure und friere und warte.
    Endlich, endlich wieder das Signal. Ich horche mit allen Sinnen; doch die Telephonistin meldet nur:
    »Ich habe eben Bescheid. Das Gespräch ist abgemeldet.«
    Abgemeldet? Was heißt das? Abgemeldet? »Einen Augenblick, Fräulein.« Aber sie hat schon abgehängt.
    Abgemeldet? Warum abgemeldet? Warum rufen sie mich an um halb eins in der Nacht und melden dann ab? Etwas muß geschehen sein, was ich nicht weiß und doch wissen muß. Entsetzliches Grauen, die Ferne, die Zeit nicht durchstoßen zu können! Soll ich Condor meinerseits anrufen? Nein, jetzt nicht mehr in der Nacht! Seine Frau würde erschrecken. Wahrscheinlich war es ihm schon zu spät, und er ruft lieber früh nochmals an.
    Diese Nacht, ich kann sie nicht beschreiben. Jagend, in wirren Bildern, eine Flucht unsinniger Gedanken, und ich selbst müde und überwach zugleich, immer wartend mit allen Nerven, horchend auf jeden Schritt über Treppe und Gang, auf jedes Klingeln und Klirren von der Straße, auf jede Regung und jeden Laut, und gleichzeitig taumelnd schon vor Müdigkeit, ausgelaugt, ausgeschöpft, und dann endlich Schlaf, ein viel zu tiefer, viel zu langer Schlaf, zeitlos wie der Tod, abgründig wie das Nichts.
    Als ich erwache, ist es taghell im Zimmer. Ein Blick auf die Uhr: halb elf. Um Gottes willen, und ich sollte mich doch gleich melden, hat der Oberst befohlen! Wieder funktioniert, ehe ich anfangen kann an Persönliches zu denken, das Militärische, das Dienstliche automatisch in mir. Ich fahre in die Montur, ziehe mich an und jage dieTreppe hinunter. Der Portier will mich aufhalten. Nein später alles andere! Erst die Meldung, wie ich's mit Ehrenwort dem Obersten versprochen habe.
    Die Kartusche vorschriftsmäßig umgeschnallt, betrete ich die Kanzlei. Aber dort sitzt nur ein kleiner rothaariger Unteroffizier, der

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