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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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bloßer Spaß gewesen sei; da stecke eine ausgiebige Lumperei von mir dahinter – aber wenn er bis zum Ministerium gehen müsse, er werde das aufklären und keinesfalls von solchen Rotzjungen in öffentlichen Lokalen sich beschimpfen lassen.
    Mit Mühe war es gelungen, den Tobenden zu beschwichtigen und fortzuschaffen; inmitten seines Entsetzens hatte Kekesfalva nur eines gehofft, Edith würde nichts von seinen wüsten Verdächtigungen gehört haben. Aber verhängnisvollerweise hatten die Fenster des Büros offen gestanden und quer durch den Hof die Worte furchtbar deutlich hinübergehallt bis zu dem Fenster des Salons, wo sie saß. Wahrscheinlich hatte sie sofort ihren langgeplanten Entschluß gefaßt. Aber sie wußte sich wohl zu verstellen; nochmals ließ sie sich die neuen Kleider zeigen, sie lachte mit Ilona, tat freundlich mit demVater, fragte nach hundert Einzelheiten, ob dies und jenes schon vorbereitet und gepackt sei. Heimlich allerdings beauftragte sie Josef, in der Kaserne anzurufen, wann ich zurückkäme und ob ich nicht einen Bescheid zurückgelassen hätte. Daß dort die Ordonnanz getreulich berichtete, ich sei dienstlich auf unbestimmte Zeit abkommandiert und hätte keinerlei Nachricht für irgend jemanden hinterlassen, gab den Ausschlag. In der Ungeduld ihres Herzens wollte sie nicht einen Tag, nicht eine Stunde warten. Ich hatte sie zu tief enttäuscht, zu tödlich getroffen, als daß sie mir noch weiter vertrauen wollte, und meine Schwäche machte sie verhängnisvoll stark.
    Nach Tisch ließ sie sich auf die Terrasse führen, und wie von einer dunklen Ahnung bewegt, war Ilona gerade durch ihre auffällige Heiterkeit beunruhigt. Sie wich nicht von ihrer Seite. Aber um halb fünf – genau die Zeit, um die ich sonst zu kommen pflegte, und gerade eine Viertelstunde, bevor fast gleichzeitig mein Telegramm und Condor eintrafen, ersuchte Edith die Getreue, ihr ein bestimmtes Buch zu holen, und unseligerweise gab Ilona dieser scheinbar arglosen Bitte nach. Und diese eine knappe Minute nützte die Ungeduldige, die ihr Herz nicht bezähmen konnte, um ihren Entschluß auszuführen genau wie sie es mir auf derselben Terrasse angekündigt, genau wie ich es in meinen Angstträumen gesehen, hatte sie das Schreckliche vollbracht.
    Condor fand sie noch am Leben. Unbegreiflicherweise wies ihr leichter Körper keine wesentlichen äußeren Verletzungen auf, und man brachte die Besinnungslose in einem Krankenauto nach Wien. Bis spät in die Nacht hofften die Ärzte noch auf eine Möglichkeit, sie zu retten, und so hatte Condor um acht Uhr abends mich dringlich aus dem Sanatorium angerufen. Aber in jener Nacht des 29. Juni, die der Ermordung des Thronfolgers folgte, waren alle Ämter der Monarchie in Aufruhr und ununterbrochendie Telephonlinien von den Zivil- und Militärbehörden mit Dienstgesprächen in Beschlag genommen. Vier Stunden wartete Condor vergeblich auf die Verbindung. Erst als nach Mitternacht die Ärzte feststellten, daß keine Hoffnung mehr blieb, ließ er das Gespräch abmelden. Eine halbe Stunde später war sie tot.
    Von den Hunderttausenden, die in jenen Augusttagen der Krieg aufrief, sind, ich bin dessen gewiß, nur wenige so gleichmütig und sogar ungeduldig an die Front abgegangen wie ich. Nicht daß ich kriegswütig gewesen wäre. Es war nur ein Ausweg, eine Rettung für mich; ich flüchtete in den Krieg wie ein Verbrecher ins Dunkel. Die vier Wochen bis zur Entscheidung hatte ich in einem Zustand der Selbstverachtung, der Verwirrung, der Verzweiflung verbracht, an den ich mich noch heute mit mehr Grauen erinnere als an die fürchterlichsten Stunden auf den Schlachtfeldern. Denn ich war überzeugt, durch meine Schwäche, durch mein erst lockendes und dann flüchtendes Mitleid einen Menschen und dazu den einzigen Menschen, der mich leidenschaftlich liebte, ermordet zu haben. Ich wagte nicht mehr, auf die Gasse zu gehen, ich meldete mich krank, ich verkroch mich in meinem Zimmer. Ich hatte Kekesfalva geschrieben, um ihm meine Anteilnahme (ach, es war wirklich mein Anteil) auszudrücken: er antwortete nicht. Ich überhäufte Condor mit Erklärungen, um mich zu rechtfertigen: er antwortete nicht. Von den Kameraden kam keine Zeile, von meinem Vater nicht – in Wirklichkeit wohl darum, weil er in seinem Ministerium während jener kritischen Wochen überbeschäftigt war. Ich aber erblickte in diesem einhelligen Schweigen eine verabredete Verurteilung. Immer tiefer verstrickte ich mich in den Wahn,

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