Ungeduld des Herzens.
Tisch sitzen, so fragt man nicht lange nach ihren Neigungen, sondern schiebt sie frühzeitig in den Backofen des Berufs, damit sie den Hausstand nicht allzulange belasten. Meinen Bruder Ulrich, der sich schon in der Volksschule die Augen mit vielem Lernen verdarb, steckte man ins Priesterseminar, mich dirigierte man um meiner festen Knochen willen in die Militärschule: von dort aus spult sich der Lebensfaden mechanisch fort, man braucht ihn nicht weiter zu ölen. Der Staat sorgt für alles. In wenigen Jahren schneidert er kostenlos, nach vorgezeichnetem ärarischem Muster, aus einem halbwüchsigen, blassen Buben einen flaumbärtigen Fähnrich und liefert ihn gebrauchsfertig an die Armee. Eines Tages, zu KaisersGeburtstag, noch nicht achtzehn Jahre alt, war ich ausgemustert und kurz darauf mir der erste Stern an den Kragen gesprungen; damit war die erste Etappe erreicht, und nun konnte der Turnus des Avancements in gebührenden Pausen mechanisch sich weiterhaspeln bis zu Pensionierung und Gicht. Auch just bei der Kavallerie, dieser leider recht kostspieligen Truppe, zu dienen, war keineswegs mein persönlicher Wunsch gewesen, sondern die Marotte meiner Tante Daisy, die den älteren Bruder meines Vaters in zweiter Ehe geheiratet hatte, als er vom Finanzministerium zu einer einträglicheren Bankpräsidentschaft übergegangen war. Reich und snobistisch zugleich, wollte sie es nicht dulden, daß irgend einer aus der Verwandtschaft, der gleichfalls Hofmiller hieß, die Familie »verschandeln« sollte, indem er bei der Infanterie diente; und da sie sich diese Marotte hundert Kronen Zuschuß im Monat kosten ließ, mußte ich bei allen Gelegenheiten vor ihr noch submissest dankbar tun. Ob es mir selber zusagte, bei der Kavallerie oder überhaupt aktiv zu dienen, darüber hätte nie jemand nachgedacht, ich selber am wenigsten. Saß ich im Sattel, dann war mir wohl, und ich dachte nicht weit über den Pferdehals hinaus.
In jenem November 1913 muß irgend ein Erlaß aus einer Kanzlei in die andere hinübergerutscht sein, denn surr – auf einmal war unsere Eskadron aus Jaroslau in eine andere kleine Garnison an der ungarischen Grenze versetzt worden. Es ist gleichgültig, ob ich das Städtchen beim richtigen Namen nenne oder nicht, denn zwei Uniformknöpfe am selben Rock können einander nicht ähnlicher sein als eine österreichische Provinzgarnison der andern. Da und dort dieselben ärarischen Ubikationen: eine Kaserne, ein Reitplatz, ein Exerzierplatz, ein Offizierskasino, dazu drei Hotels, zwei Kaffeehäuser, eine Konditorei, eine Weinstube, ein schäbiges Variété mit abgetakelten Soubretten, die sich im Nebenamt liebevollstzwischen Offizieren und Einjährigen aufteilen. Überall bedeutet Kommißdienst dieselbe geschäftig leere Monotonie, Stunde für Stunde eingeteilt nach dem stahlstarren, jahrhundertealten Reglement, und auch die Freizeit sieht nicht viel abwechslungsreicher aus. In der Offiziersmesse dieselben Gesichter, dieselben Gespräche, im Kaffeehaus dieselben Kartenpartien und das gleiche Billard. Manchmal wundert man sich, daß es dem lieben Gott beliebt, wenigstens einen anderen Himmel und eine andere Landschaft um die sechs- oder achthundert Dächer eines solchen Städtchens zu stellen.
Einen Vorteil allerdings bot meine neue Garnison gegenüber der früheren galizischen: sie war Schnellzugsstation und lag einerseits nahe bei Wien, andererseits nicht allzuweit von Budapest. Wer Geld hatte – und bei der Kavallerie dienen immer allerhand reiche Burschen, nicht zuletzt auch die Freiwilligen, teils Hochadel, teils Fabrikantensöhne – der konnte, wenn er rechtzeitig abpaschte, mit dem Fünfuhrzug nach Wien fahren und mit dem Nachtzug um halb drei Uhr wieder zurück sein. Zeit genug also, um ins Theater zu gehen, auf der Ringstraße zu bummeln, den Kavalier zu spielen und sich gelegentliche Abenteuer zu suchen; einige der Beneidetsten hielten sich dort sogar eine ständige Wohnung oder ein Absteigequartier. Leider lagen derlei auffrischende Eskapaden jenseits meines Monatsetats. Als Unterhaltung blieb einzig das Kaffeehaus oder die Konditorei, und dort verlegte ich mich, da mir die Kartenpartien meist zu hoch ins Geld gingen, auf das Billard oder spielte das noch billigere Schach.
So saß ich auch diesmal eines Nachmittags, es muß Mitte Mai 1914 gewesen sein, mit einem gelegentlichen Partner, dem Apotheker zum Goldenen Engel, der gleichzeitig Vizebürgermeister unseres Garnisonsstädtchens war, in der
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