Ungezaehmte Begierde
Hals hinauf, und über dem einen Auge saß die krallenförmige Narbe, die ihn als Krieger kennzeichnete. Er war von Kopf bis Fuß in Leder gekleidet und wirkte dabei immer irgendwie zornig. Es war ein Zorn, den die Magier vor langer Zeit in seine Seele gebrannt hatten. Er war ein Mann, dem andere gern aus dem Weg gingen. Abgesehen von denen, die ihn gut kannten.
Paenther fragte als Einziger niemals, wie es ihm ging. Die tiefe Sorge seines Freundes drückte sich jedoch in dem allzu festen Griff um sein Handgelenk aus – und auch darin, wie lange er es festhielt.
»Finde ihn«, sagte Paenther leise, aber mit Nachdruck. »Ich wünschte, ich könnte euch helfen.«
Tighe schüttelte den Kopf. »Wir suchen den Klon. Du und Foxx, ihr sucht Vhyper und die Klinge. Ihr habt die deutlich wichtigere Aufgabe, B.P. Wenn ich sterbe, wird ein anderer Krieger auserwählt. Ihr müsst nicht auf einen Mann verzichten.«
Der schwarze Blick wankte nie. »Wir können nicht auf dich verzichten, Stripes. Finde ihn! Ich will dich nicht verlieren.«
Tighe brachte ein Grinsen zustande. »Dann finde ich ihn.« Doch das Lächeln erstarb augenblicklich wieder, denn sein Herz war schwer. »Ich gebe mein Bestes, B.P.« Doch er machte sich ernsthaft Sorgen, ob sein Bestes vielleicht zu wenig war. Verdammt. Und ob es zu spät kam.
»Nachrichten.« Wulfes tiefe Stimme hallte von den Wänden des Speisesaals wider.
Tighe wandte sich dem neu installierten Flachbildschirm zu, der an der Wand hinter ihm befestigt war. Und erstarrte augenblicklich.
»Der Killer, den einige den D.C.-Vampir nennen, hat in der letzten Nacht erneut im Südwesten zugeschlagen. Jeanine Tinnings wurde auf dieselbe rätselhafte Weise ermordet wie mindestens zehn andere Frauen in den vergangen drei Tagen.« In der Mitte des Bildschirms wurde das Foto einer lachenden blonden Frau eingeblendet, die ein pausbäckiges Kleinkind im Arm hielt.
Tighe stieß die Luft aus, als hätte er einen heftigen Schlag erhalten. Er starrte das Gesicht der Frau an, die die Wäsche zusammengelegt hatte, die erste der beiden Frauen, von denen er dachte, dass er sie umgebracht hätte. Oder vielmehr: Sie umbringen würde .
Doch sie war bereits tot.
Der feste Knoten in seiner Brust löste sich nur langsam auf. Er würde sie nicht mehr umbringen.
Ach, verdammt. Dann war die andere auch nicht mehr zu retten. Die dunkelhaarige FBI-Schönheit mit den Augen eines Kriegers musste ebenfalls bereits tot sein.
Das heißt … Eiskalte Schauer liefen über seine Haut. »Es war keine Vision«, erklärte er laut.
Lyons Blick glitt zu ihm. »Was war keine Vision?«
»Ich habe sie letzte Nacht sterben sehen. Mit den Augen des Mörders. Ich hatte gedacht, ich würde in die Zukunft blicken.«
Paenther sah ihn überrascht an. »Du siehst mit den Augen deines Klons.«
Tighe nickte bedächtig. »Zumindest, wenn er tötet.«
»Das ist der Durchbruch, den wir gebraucht haben.« Lyons Augen funkelten. »Wenn du herausfinden kannst, wo ein Mord stattfindet, haben wir endlich einen Weg gefunden, wie wir den Mistkerl kriegen können.«
Das schwere Gewicht der beiden Toten wich von Tighes Schultern, aber die Erleichterung war nur gering. Auch wenn er sie nicht umgebracht hatte, so waren die Frauen dennoch tot. Außerdem war es immer noch sehr wahrscheinlich, dass er genauso verrückt und blutrünstig endete, wie er es befürchtete. Er würde Stück für Stück die Kontrolle verlieren, bis er schließlich der wilden Wut anheimfiel, aus der es für ihn kein Entrinnen mehr gab.
Und bis dahin? War er offenbar dazu verdammt, die Schrecken der Sterbenden mit den Augen desjenigen zu sehen, der seine Seele entweihte.
3
Als die Sonne über Washington D.C. aufging, schlug Tighe die Tür zu dem sicheren Haus auf und stürmte hinein, seine Finger und seine Zähne kribbelten von dem Drang, wild zu werden und etwas aufzureißen. Irgendetwas.
Verzweiflung strömte aus seinem Kopf in jede Zelle des Körpers.
Sie erreichten aber nichts. Gar nichts.
»Ruhig, Stripes«, sagte Hawke, der ihm mit Kougar folgte. »Behalte nur die Kontrolle, mein Freund.«
Tighe schritt zu dem Kühlschrank des kleinen Reihenhauses in Capitol Hill, nahm sich ein Bier und trank es in einem Zug aus.
Das Haus, das einst einer therianischen Familie gehört hatte, diente den Therianern, die sich nachts zu weit von ihren Enklaven entfernt hatten, seit Jahren als Unterschlupf. Als Gestalten der Finsternis fraßen die Drader zwar nur nachts, waren
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