Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers
beziehungsweise das nahe Umfeld des Opfers im Fokus der Ermittler. Man geht dabei immer von innen nach außen vor. In diesem Fall war derjenige, der unserem Opfer – neben der Tochter – am nächsten stand, der Ehemann. Dieser weilte im fernen Uganda, hatte erst am 1 . Dezember einen Brief an seine Frau geschrieben, der bei Tatentdeckung am 4 . Dezember tatsächlich in deren Briefkasten lag; in der Nacht zum 5 . Dezember erreichte ihn die Tochter telefonisch in Uganda. Da die Zeitverschiebung nur zwei Stunden beträgt, fiel diese nicht ins Gewicht.
Wann genau war Gerda V. ermordet worden? Fest stand, dass sie am 3 . Dezember um 19.30 Uhr ein Telefongespräch mit einer Bekannten beendet hatte. Da es danach keine Telefonate oder Kontakte mehr gab, von denen wir wussten, nahmen wir dies als ihr letztes Lebenszeichen. Sie war wohl auch bereits zu Bett gegangen, was sie gewöhnlich gegen 22.00 Uhr zu tun pflegte. Am 4 . Dezember war um 5.30 Uhr mit ihrer EC -Karte Geld abgehoben worden, und zwar an einem etwa 15 Gehminuten vom Tatort entfernten Geldautomaten, der leider keine Video überwachung hatte. Es lag demnach der Rückschluss nahe, dass sie möglicher weise in der Nacht vom 3 . auf den 4 . Dezember zwischen 22.00 und 5.15 Uhr ermordet worden war. Das deckte sich ebenfalls mit den rechtsme di zinischen Berechnungen zum Todeszeitpunkt, denen zufolge dieser eher vor Mitternacht gelegen haben dürfte. Exakte Zeitangaben zum Todeszeitpunkt machen allenfalls Rechtsmedizinerinnen und Recht smediziner in Kriminalfilmen.
Um den Ehemann als möglichen Täter ausschließen zu können, stellten sich mehrere Fragen: Konnte er heimlich nach München gekommen sein? Hätte er nach der Tat beziehungsweise nach Abhebung des Geldbetrags am 4 . Dezember um 5.30 Uhr am Rosenheimer Platz in München wieder so rechtzeitig in Masaka in Uganda sein können, um am 5. Dezember gegen 7.00 Uhr dort von der Tochter telefonisch erreicht zu werden? Rein theoretisch möglich, denn die Flugzeit München-Nairobi beträgt etwa achteinhalb Stunden, die von Nairobi nach Entebbe eine Stunde und die Fahrzeit von Entebbe nach Masaka mit dem Auto rund zwei Stunden. Macht zusammen etwa zwölf Stunden – falls er gegen 6.00 Uhr am 4 . Dezember zum Flughafen gefahren wäre, einen Flug nach Nairobi und von dort weiter nach Entebbe bekommen hätte und sofort mit dem Auto nach Masaka gefahren wäre.
Natürlich stellte es kein Problem dar, herauszufinden, ob er Flüge gebucht hatte. Aufgrund der strengen Ein- und Ausreiseregelungen in Uganda bekommt man in beiden Fällen dicke Stempel in den Pass. Käme also der Ehemann als Täter infrage, müsste er ziemlich naiv sein, nicht in Erwägung zu ziehen, dass es für uns ein Kinderspiel wäre, etwaige Reiseaktivitäten zu überprüfen. Doch Christian V. war sicher alles andere als naiv, sondern akademisch gebildet und hochintelligent.
Karin L. war bereit, mit uns eine Tatortbesichtigung durchzuführen. Sie sollte feststellen, ob außer den bereits bekannten Gegenständen Weiteres fehlte oder ob ihr sonst etwas Außergewöhnliches auffiele.
Sie wurde fündig. Wobei wir nicht einschätzen konnten, ob diese neue Erkenntnis für einen Einbrecher oder einen Täter aus dem Umfeld sprach. Jedenfalls vermisste sie das Sofakissen, das sie ihrer Mutter noch während ihrer Schulzeit zu einem Geburtstag geschenkt hatte. Den Kissenbezug habe sie im Rahmen des Handarbeitsunterrichts selbst bestickt, er sei für ihre Mutter eine liebevolle Erinnerung gewesen.
Welcher Täter nahm denn das Kissen mit, mit dem er sein Opfer erstickt hat, fragten wir uns. Dafür gab es nur eine Erklärung: Er fürchtete wohl mit Recht, Spuren darauf hinterlassen zu haben. Was wiederum keinen Rückschluss darauf zuließ, ob es sich um eine Beziehungstat oder einen Fremdtäter handelte. Gerade Einbrecher sind meist erkennungsdienstlich erfasst und wissen genau, dass man sich gegen das Hinterlassen von Fingerspuren schützen kann, nicht aber gegen das Hinterlassen verräterischer DNA -Spuren. Aber trotz dieser offenen Fragen tendierten wir zu einer Beziehungstat.
Beziehungstaten, sofern es sich um Mord handelt, lassen, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, in der Regel erwarten, dass der oder die Täter planvoll und raffiniert vorgehen. Und dass sie das Risiko, überführt zu werden, als sehr gering einschät zen. Ein hohes Risiko gehen meist nur professionelle Täter ein. Bei Beziehungstaten finden sich dagegen häufig Manipulationen am
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