Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers
Vorwort
W arum Gewalt- oder Gewohnheitsverbrecher zu Mördern werden können, ist weitgehend bekannt. Es liegt an der hohen kriminellen Energie, die sich bei diesen Leuten meist schon von Kindesbeinen an aufgebaut hat, während sich die innere Hemmschwelle sukzessive abbaut. Und ist diese Hemmschwelle erst einmal überschritten, dann wird es von Mord zu Mord immer leichter. Dafür gibt es genügend Beispiele. Trotzdem fällt diese Gruppe bei uns in Deutschland, zumindest statistisch, nicht besonders ins Gewicht und ist auch im Hinblick auf die Erforschung seeli scher Abgründe relativ uninteressant. Es mag sich zynisch anhören, aber zum einen gehen allenfalls 10 Prozent aller Tötungsdelikte auf das Konto dieser Leute, zum anderen bringen sie sich meist gegenseitig um. Das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung wird in solchen Fällen also nicht sonderlich tangiert. Jedenfalls ruft es wenig Mitgefühl und Beunruhigung hervor, wenn ein Zuhälter einen anderen ersticht oder wenn sich Mafiosi wechselseitig eliminieren. Bemerkenswert ist auch, dass sich die Tötungsarten in diesen Kreisen vielfach auf »kurz und schmerzlos« beschränken, sodass in der Regel nicht einmal das Mordmerkmal der Grausamkeit erfüllt ist. Denn grausam handelt nur, wer dem Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung heraus besondere Schmerzen und Qualen zufügt. Das aber erlebt man ausgerechnet dort, wo sich Menschen nahe, oft sogar sehr nahe standen und wo sich dennoch teuflische Mordpläne entwickelt oder negativ besetzte Emotionen entladen haben.
Während die Motivlagen bei Berufsverbrechern meist klar auf der Hand liegen und keine großen Rätsel aufgeben, ist man regelmäßig ratlos, wenn es sich bei Täterinnen oder Tätern um bislang unbescholtene, anständige Menschen handelt, denen man eine so schreckliche Tat niemals zugetraut hätte. Für Angehörige ist die Suche nach Antworten oft verbunden mit der quälenden Frage, ob sie die verhängnisvolle Entwicklung hätten erkennen oder sogar stoppen können. Nicht selten kommt es zu heftigen Vorwürfen oder Selbstvorwürfen. Was war es, das einen geistig gesunden, friedfertigen, mitten im Leben stehenden, erfolgreichen und even tuell sogar tiefgläubigen Menschen veranlassen konnte, vorsätzlich ein Menschenleben auszulöschen? Die Taten von Triebtätern oder psychisch kranken Menschen nehme ich hier ausdrücklich aus, weil mein Thema nicht Krankheiten, sondern Verbrechen sind.
In meinem Buch Abgründe habe ich die gesetzlich definierten Mordmotive anhand realer Fälle beschrieben. Der Vergleich mit den sieben Todsünden sollte aufzeigen, dass Habgier, Wollust, Mord lust, Eifersucht, Neid, Hass und alle anderen Bösar tigkeiten seit Menschengedenken in jedem Winkel dieser Erde beheimatet waren und sind, unabhängig von Reli gion, Kultur oder sozialem Status. Es wird sie geben, solange es Menschen gibt. Die gesetzlich definierten Mordmotive sind also eine Art Allgemeingut und stellen lediglich eine grobe Einteilung dessen dar, was wir als besonders verwerflich betrachten. Es sind quasi unterschiedlich beschriftete Schubladen, in die sich die individuellen Taten einordnen lassen, wobei das Sortiment mit der Aufschrift »Habgier« am besten gefüllt ist – es sind jene Fälle, in denen es um rational geplanten, eiskalten Mord geht.
Im Bereich der emotionalen Motive dürfte dagegen die »Eifersucht« den Schwerpunkt bilden. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass selbst scheinbar gleich gelagerte Fälle gravierende Unterschiede aufweisen.
In diesem Buch möchte ich etwas tiefer in die Täterseelen eindringen und aufzeigen, dass ausgerechnet das schwerste aller Verbrechen in den wenigsten Fällen mit dem zu tun hat, was man als Wurzel allen Übels ansieht, nämlich frühkindliche Gewalterfahrungen, Aufwachsen in ärmlichen Verhältnissen oder der soziale Status. Diese Faktoren mögen zwar die Entwicklung krimineller Energie begünstigen, aber wenn es um das böseste alles Bösen geht, spielen sie eine eher untergeordnete Rolle, weil sogenannte anständige Bürger mehr Menschen umgebracht haben, umbringen und umbringen werden als alle Berufsverbrecher zusammen.
Täglich werden Menschen zu Mördern, von denen niemand geglaubt hätte, dass sie jemals zu solchen Taten fähig sein könnten – am allerwenigsten sie selbst. Das mag unfassbar klingen, doch für mich war es der Normalfall. Ich hatte es ständig mit Menschen zu tun, die Ungeheuerliches getan haben. Die
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