Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay
immer weiter um sich griffen, auch in englischen Ohren lauten Widerhall erzeugten. Zu der Jahrhunderte lang schlummernden mystischen Prosa gesellte sich eine lange Reihe von Abhandlungen über Hexenkunst und Dämonologie, die dabei mitwirkten, die Einbildungskraft der lesenden Welt zu erregen.
Das ganze 17. Jahrhundert hindurch bis hinein ins 18. Jahrhundert bietet sich uns eine wachsende Menge wandernder Legenden und Balladen düsterer Färbung; doch sie wirkten immer noch nur unterschwellig, denn die feine und akzeptierte Literatur verwehrte es ihnen, an die Oberfläche zu dringen. Die Volksbücher erschrecklichen und unheimlichen Inhalts nahmen immer weiter an Verbreitung zu, und das heftige Interesse der Menschen daran lässt sich an Splittern wie Defoes »Apparition of Mrs. Veal« ablesen; das ist eine schlichte Geschichte, die von einer toten Frau berichtet, die entfernten Bekannten als Geist erscheint, und geschrieben wurde sie, um auf Schleichwegen für ein theologisches Traktat über den Tod zu werben, das sich schlecht verkaufte. Die oberen Ränge der Gesellschaft verloren nun langsam den Glauben an das Übernatürliche und schwelgten in einer Periode des klassischen Rationalismus. Dann aber, beginnend mit den Übersetzungen orientalischer Erzählungen während der Regierungszeit der Königin
Anna, kommt es zu einer Wiederbelebung des romantischen Gefühls, das um die Mitte des Jahrhunderts schließlich definitive Form annimmt - es ist die Ära einer neuen Lust an der Natur, und sie erfreut sich an der Ausstrahlung vergangener Zeiten, befremdlicher Szenen, kühner Taten und unglaublicher Wunderdinge. Wir spüren es zuerst bei den Dichtern, deren poetische Äußerungen neue Töne des Sonderbaren, des Wunderbaren und des Schauders annehmen. Und nach dem schüchternen Auftauchen einiger nicht geheurer Szenen in den Romanen des Tages - etwa in Smollets ADVENTURES OF FERDINAND, COUNT FATHOM - entlädt sich schließlich der befreiende Instinkt in der Geburt einer neuen literarischen Schule: Es entsteht, in den Kurz- und Großformen der Epik, die »gotische« Prosaliteratur des Phantastischen und Schrecklichen, deren literarische Nachfahren so zahlreich und in vielen Fällen künstlerisch von so glänzendem Rang werden sollten. Es ist, wenn man es recht bedenkt, wahrlich bemerkenswert, dass die Schauergeschichten als festumrissene und akademisch anerkannte literarische Form erst so spät geboren werden sollte. Der Impuls dazu und ihre Atmosphäre sind so alt wie die Menschheit, doch die typische Schauergeschichte als Bestandteil der Standardliteratur ist ein Kind des 18. Jahrhundert.
3. DER FRÜHE SCHAUERROMAN
Die von Schatten heimgesuchten Landschaften Ossians, die chaotischen Visionen William Blakes, die grotesken Hexentänze in TOM O' SHAONTER von Robert Burns, der sinistre Dämonismus in Coleridges »Christabel« und »Ancient Mariner«, der gespenstische Zauber von James Hoggs »Kilmeny« und die eher zurückhaltende Annäherung an das kosmische Grauen in »Lamia« und vielen anderen Gedichten von John Keats - all das sind typische britische Beispiele dafür, dass das Unheimliche seinen Platz in der formgebundenen Literatur eingenommen hatte. Unsere teutonischen Vettern auf dem Kontinent waren gleichermaßen empfänglich für die steigende Flut, und »Der wilde Jäger« von Bürger und seine gar noch berühmtere »Lenore«, die Ballade vom Dämonen-Bräutigam - beide im Englischen nachgeahmt von Scott, der immer großen Respekt vor dem Übernatürlichen hatte - bieten lediglich eine Probe des grausigen Reichtums, den das deutsche Lied zu bieten begonnen hatte. Thomas Moore adaptierte aus derartigen Quellen die Legende von der dämonischen Brautstatue (die später von Prosper Merimee in DIE VENUS VON ILLE benutzt wurde und sich in die klassische Antike zurückverfolgen lässt), die so schaurig widerhallt in seiner Ballade »The Ring«, während Goethes unsterbliches Meisterwerk FAUST, das von rein balladesker Poesie übergeht in die klassische, kosmische Tragödie aller Zeitalter, für den höchsten Gipfel gehalten werden kann, zu dem dieser deutsche poetische Impuls sich emporgeschwungen hat.
Doch einem munteren und weltzugewandten Engländer, keinem anderen als Horace Walpole persönlich, blieb es vorbehalten, dem wachsenden Impuls endgültige Form zu verleihen und damit zum tatsächlichen Begründer der literarischen Horror-Story als bleibender Form zu werden. Walpole, der als Dilettant sein
Weitere Kostenlose Bücher