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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 8 Exquisite Corpse

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 8 Exquisite Corpse

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 8 Exquisite Corpse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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1
    Ein Duft prägt sich tiefer ein, als man gemeinhin glauben möchte. Ein Duft verbindet Szenen im Leben eines Menschen wie Zauberei.
    Viele Frauen erinnern sich an das Rasierwasser des Mannes, mit dem sie den ersten Kuss getauscht haben (und falls der Partner noch nicht ganz ein Mann war, ist es möglicherweise der Geruch seines Pickelmittels oder mindestens das Aroma seiner Lieblingsschokolade). Dies ist den Betreffenden meist nicht bewusst – sie könnten nicht etwa in ein Geschäft gehen und das Produkt kaufen. Würden sie sich die Erinnerung daran gewaltsam zurückzurufen versuchen, würde sich diese so hartnäckig verflüchtigen wie die unerfreulichen Missverständnisse und Peinlichkeiten, die seinerzeit auf den Kuss folgten.
    Irgendwann aber holt sie die Vergangenheit ein. Sie fragen sich verblüfft, warum sie sich so unwiderstehlich zu dem übergewichtigen Verkäufer im Elektronikmarkt hingezogen fühlen, warum ihre Knie unter seinem glubschäugigen Dackelblick dahinschmelzen wie tiefgekühlte Butter in der kubanischen Mittagssonne.
    Ist es Magie?
    Je näher sie seiner blassen, schlaffen Haut kommen, desto schwerer wird es zu widerstehen. Sie kämpfen mit aller Kraft den Impuls nieder, sich inmitten der samstäglichen Stoßzeit an ihn zu werfen, ihm das unleserliche Namensschild von der Brust zu beißen und sein durchschwitztes Hemd mit heißen Küssen zu bedecken. Dabei tun sie so, als haderten sie innerlich mit dem Preis des Handys oder des Dampfbügeleisens, das sie zu kaufen beabsichtigten.
    Bis ihnen klar wird, dass sich das Bild ihrer ersten zärtlichen Erfahrung über die Szene legt wie ein duftiges seidenes Tuch. Dieser Mann benutzt dasselbe Rasierwasser oder ... noch schlimmer ... dasselbe Pickelmittel. Möglicherweise bevorzugt er auch nur dieselbe Schokoladensorte und hat sich gerade eben in der Pause eine ganze Tafel davon verabreicht. Sind da noch Reste in seinen Mundwinkeln?
    Selbst nachdem der Verstand die Zusammenhänge erkannt hat, setzt keine Ernüchterung ein. Die Emotionen, die mit bestimmten Düften verbunden sind, behaupten sich so nachhaltig, dass es enorme Willenskraft erfordert, sich davon loszureißen. Und den ganzen Tag und die ganze Nacht über leidet die arme Betroffene unter den sinnlichen Nachbeben dieser ebenso un- wie angenehmen Begegnung. Sie windet sich unter der süßen Last des unwirklichen Geschehens, stöhnt unter der klar und deutlich zu spürenden Leidenschaft ihrer Jugendzeit – bis das Beben verebbt und der gnädige Alltag sie nach und nach wieder einfängt.
    Zu küssen ist eine eindrückliche Erfahrung.
    Geküsst zu werden vielleicht noch mehr.
    Zu sterben ist allerdings noch weitaus eindrücklicher. Zumal man es nicht so häufig tut wie das vorher genannte.
    Die eindrücklichste von allen möglichen Erfahrungen, die ein Mensch machen kann, ist vielleicht jene, ermordet zu werden.

2
    Blut.
    Durch seine weit geöffneten Augen sah er, wie sich das rote Blut in der glänzenden kupfernen Mulde sammelte. Von über ihm fiel grelles Licht ein.
    Der Sterbende hörte auf zu verstehen, hörte auf, Zusammenhänge zu sehen. Er wusste nicht mehr, woher das Licht kam. Wer die Lampe hielt. Was eben geschehen war. Wo er sich befand. Wer er war. Er verstand auch nicht, dass das Blut ihm gehörte, welches unter ihm zusammenlief. Einen Augenblick später hatte er sogar vergessen, dass es überhaupt Blut war.
    Und wiederum einen Moment später versagten seine Augen ihm den Dienst. Es ging so schnell – zuerst schaltete sein Verstand ab, dann seine Sinne. Der Sehsinn zuerst. Das pulsierende Rot und das leuchtende Kupfer verschwanden in einem leblosen Ozean aus Grau. Er spürte auch keinen Schmerz mehr dort, wo die Metallstange ihn getroffen hatte.
    Er roch nur etwas.
    Den Duft von Kaffee. Und Metall. Und Blut.
    Natürlich wusste er nicht, dass es Kaffee war, was er roch.
    Colm’s Kaffee Exquisit.
    Er starb nicht sofort. Sein Herz hatte schon aufgehört zu schlagen, das Zucken seiner Nerven war erlahmt. Und doch arbeiteten die Regionen in seinem Gehirn, die für den Geruchssinn zuständig waren, noch weiter. Ein paar Sekunden nur.
    In die Kluft zwischen Herzstillstand und Gehirntod passten einige Sekunden Kaffee Exquisit.
    Mehr nicht.

3
    Fred Wandel mochte die Spätschicht, die Zeit nach siebzehn Uhr, wenn das restliche Personal nach Hause gegangen und er allein auf seiner Station war.
    Er mochte sie, weil er sich nun seine Zeit frei einteilen konnte, weil jetzt keine Vorgesetzten

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