Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay
Pestilenz verbreiten. So sehr er auch über eine leichte Hand verfügt, erweckt Dr. James doch Entsetzen und Schauder in ihrer erschreckendsten Form, und so wird er mit Gewissheit sich als einer der wenigen wahrhaft schöpferischen Meister in seinem düsteren Gefilde behaupten.
Für jene, die sich gern in Spekulationen über die Zukunft ergehen, bietet die Literatur des übernatürlichen Grauens ein interessantes Feld. Wird sie nämlich bekämpft von einer steigenden Woge des mühsamen Realismus, der zynischen Saloppheit und der ausgekochten Desillusionierung, so findet sie doch Unterstützung bei einer parallel verlaufenden Flut des wachsenden Mystizismus, wie er sich entwickelt hat sowohl durch die überstrapzierte Reaktion der »Okkultisten« und der religiösen Fundamentalisten gegen materialistische Entdeckungen, als auch bei der Stimulierung des Staunens und der Phantasie durch jene vergrößerten Horizonte und durchbrochenen Schranken, wie sie uns die moderne Wissenschaft mit ihrer infraatomaren Chemie, fortschreitenden Astrophysik, den Lehrsätzen der Relativität und ihrem Eindringen in die Biologie und das menschliche Denken geschenkt hat. Im gegenwärtigen Augenblick scheinen die günstigen Kräfte in etwa im Vorteil zu sein, denn fraglos stoßen die Autoren des Unheimlichen jetzt auf mehr Gegenliebe als vor dreißig Jahren, als die besten Werke von Arthur Machen auf den steinigen Boden der ach so naseweisen neunziger Jahre fielen. Ambrose Bierce, der in seiner eigenen Zeit ebenfalls unbekannt war, hat jetzt so etwas wie eine allgemeine Anerkennung gefunden.
Überraschende Mutationen jedoch sind in keiner der beiden Richtungen zu erwarten. Auf jeden Fall wird ein annäherndes Gleichgewicht der Tendenzen bestehen bleiben; und während wir mit Recht eine Verfeinerung erzählerischer Techniken erwarten dürfen, haben wir doch keinen Grund zu der Annahme, dass die allgemeine Stellung der geisterhaft-phantastischen Literatur sich ändern wird. Sie ist ein schmaler, wenn auch wesentlicher Zweig der menschlichen Ausdruckskraft, und sie wird, wie immer, hauptsächlich einem begrenzten Publikum mit besonders geschärftem Empfindungsvermögen gefallen. Welches universelle Meisterwerk von Morgen auch aus den Phantasmen oder dem Entsetzen geschmiedet werden mag - es wird seine beifällige Aufnahme eher seiner künstlerischen Vollendung verdanken als einem ansprechenden Thema. Doch wer wird das dunkle Thema zum positiven Hindernis erklären? Strahlend vor Schönheit, ward der Kelch der Ptolemäer aus Onyx geschnitten.
LITERATURHINWEISE
1. KAPITEL:
Washington Irving, Das Abenteuer des deutschen Studenten, in: Grauenhaft! Einfach Grauenhaft.', Ullstein ÜB 40024 (1987) Henry James: Die Tortur, Bibliothek Suhrkamp, Band 321, Frankfurt/M 1975
W. W. Jacobs: Die Affenpfote, in: Englische Gespensterge schichten, Fischer Bibliothek 666, Frankfurt/M 1975, ferner in: Gespenster, Diogenes Evergreens, Zürich 1982
2. KAPITEL: Beowulf, Reclams Universal Bibliothek 430 Thomas Malory: Le Morte d'Arthur, dt. Klett-Cotta
Daniel Defoe: In: Gespenster, Diogenes Evergreens, Zürich
1982 Tobias Smollett: Adventures of Ferdinand, Count Fathom, dt. EA 1772
Samuel Taylor Coleridge: Der alte Seefahrer, Insel-Bücherei John Keats: Gedichte, Reclams ÜB 8581
3. KAPITEL: Robert Burns: Tom O'Shanter, dt. EA 1839
Horace Walpole: Schloß Otranto, Bastei Lübbe, PL 72034 Ann Radcliffe: Der Italiäner, Bibliotheca Dracula, Hanser, München 1973
dies.: The Mysteries of Udolpho, dt. EA, Riga 1795 Charles Brockden Brown: Wieland; or, the Transformation, dt. Bibliotheca Dracula, Hanser, München 1973, später auch bei dtv
4. KAPITEL:
Matthew Gregory Lewis: Der Mönch, Insel, it 907 Jane Austen: Kloster Northanger, Reclam ÜB 7728 Charles Robert Maturin: Melmoth, der Wanderer, Bibliotheca Dracula, Hanser, München
1969
5. KAPITEL:
William Beckford: Vathek, Bibliothek der Romane, Insel, Frankfurt/M 1964; Die Fundgrube Bd. 2, Winkler, München 1965; ferner in: Die Bibliothek von Babel, Eine Sammlung phantastischer Literatur, hg. v. J. L. Borges, Bd. 3, Ed. Weitbrecht, Stuttgart 1984 Tausendundeine Nacht nach Galland, in: Die Bibliothek von Babel,
Godwin, Caleb Williams, dt. EA Berlin 1931 Mary W. Shelley, Frankenstein oder der moderne Prometheus, dt.
Manesse Bibliothek der Weltliteratur, Zürich, ferner Reclam, Stuttgart
1986
dies.: Verney - Der letzte Mensch, Bastei Lübbe, PL 72021 Walter Scott: Redgauntlet, dt. Stuttgart 1826
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