Unruhe: Der erste Fall für Kommissar Steen (German Edition)
einmal selbst an das glaubte, was er gerade gesagt hatte.
»Was ist in Makedonien passiert?«
»Wir wurden verhaftet.«
»Wer ist wir?«
»Sonne, David, ich und ein albanischer Journalist.«
»Warum?«
»Wir waren oben in den Bergen. Es war völliger Blödsinn, aber wir hatten keine Ahnung und wollten gerne etwas Besonderes mit nach Hause bringen. David war dagegen, aber wir hielten an unserem Plan fest, und so kam er mit. Einen ganzen Tag lang sind wir da oben herumgestolpert, und als wir wieder in die Stadt kamen, wurden wir festgenommen.«
»Weshalb?«
»Weshalb? Weil Krieg war. Die Militärpolizei empfing unsmit einem Panzer und mit zwölf bis fünfzehn Mann, Maschinenpistolen im Anschlag. Da verstand ich, dass das kein Spaß mehr war. Sie drückten uns auf die Erde, filzten uns und nahmen uns mit.«
Lindberg sah nervöser aus, als Axel ihn jemals zuvor erlebt hatte.
»Was ist dann passiert?«
»Dann wurden wir wieder freigelassen. Wir waren wirklich erleichtert, kann ich dir sagen.«
»Was ist mit Stanca Gutu? Was weißt du über sie?«
»Nichts. Ich kannte sie nicht.«
»Kannte? Eine merkwürdige Formulierung. Was habt ihr mit ihrem Tod zu tun?«
»Ich habe keine Ahnung, was passiert ist, aber David kannte ein paar Prostituierte, und er hat wohl Sonne zu ihnen gebracht. Danach herrschte Funkstille zwischen ihnen.«
»Zwischen Sonne und Davidi?«
»Ja, David wollte nichts mehr mit Sonne zu tun haben. Ich war auf dem Weg nach Hause, ich weiß also nicht, worum es dabei ging.«
»Hast du seitdem mal mit Sonne darüber gesprochen?«
»Nein, nie. Vielleicht mal eine Andeutung, aber das waren auch nicht unbedingt Erlebnisse, die man beim Bier gerne wieder aufleben lässt.«
Axel ließ Lindberg stehen und ging zu seinem Auto. Er versuchte sich darauf zu konzentrieren, was seine Aufmerksamkeit so erregt und das er nicht zu fassen bekommen hatte, kurz bevor die Kollegen den Platz gestürmt hatten. Noch einmal ließ er die letzten Minuten, bevor sie ins Escobar gestürzt waren, in seinem Gedächtnis ablaufen.
Moussa hatte zuerst mit Dorte Neergaard gesprochen, dann mit Sonne. Sonne hatte seine Fototasche abgestellt und versucht, Moussa zu beruhigen, der aufgebracht wirkte. Dann hatte sich Sonne mitsamt seiner Tasche zurückgezogen. Unmittelbardanach war auch Lasso gegangen. Allmählich dämmerte Axel etwas. Hatte Lasso etwas mitgenommen? Konnte er die Fototasche mitgenommen haben? Aber die hatte doch Sonne bei sich gehabt. Er hatte sie von dem Stuhl genommen, auf dem er sie abgestellt hatte … aber er hatte sie gar nicht auf dem Stuhl abgestellt. Er hatte sie neben den Stuhl gestellt, auf den Boden. Es war nicht dieselbe Tasche gewesen. Axel fiel ein, dass Sonne erst gestern zunächst in einer Gruppe Journalisten mit Moussa gesprochen und zum Schluss noch ein paar Worte mit ihm alleine gewechselt hatte.
War es Sonne, der die Drogen geliefert hatte? Es sah ganz so aus. Hatte er Davidi und Piver umgebracht? Sie mussten ihn fassen, und zwar jetzt. Axel rief in der Einsatzzentrale an, ließ eine Fahndung nach ihm rausgeben und Leute sowohl zu Sonnes Wohnung als auch zu seiner Redaktion schicken. Dann stieg er ins Auto und fuhr die fünfhundert Meter hinüber zu Sonnes Wohnung. Er wollte Sonne einen Besuch abstatten, bevor die Kollegen da waren.
56
Jakob Sonne wohnte in einer großen Dachgeschosswohnung im Blegdamsvej am Übergang zum St. Hans Torv. Die Wracks ausgebrannter Autos zeugten von den Unruhen in der Nørre Allé am letzten Wochenende und waren die einzigen Kratzer in einem Idyll, das Frauen mit Kinderwagen und ein Grüppchen Gewohnheitstrinker, eingehüllt in einen aschgrauen Dämmerrausch, teilten.
Axel stellte fest, dass sein Anruf in der Einsatzzentrale bereits Maßnahmen nach sich gezogen hatte, und nickte den beiden Kollegen zu, die etwa zwanzig Meter vom Haus entfernt in einem Zivilfahrzeug saßen. Er klingelte bei Sonne, und als niemand öffnete, drückte er sämtliche Knöpfe vom Erdgeschoss anaufwärts. Jemand drückte auf, als er sagte, er habe einen Brief zuzustellen. Der hellgrüne Anstrich des Treppenhauses war an unzähligen Stellen abgeblättert und trug unübersehbare Umzugsspuren, der Linoleumboden aus den Fünfzigern war rissig.
Im zweiten Stock stand eine ältere Dame in einem Kittel und in einer Wolke aus gekochtem Weißkohl und wartete auf ihn. Ihre Mundwinkel reichten bis zur Fußmatte vor lauter Missbilligung.
»Sie sehen nicht gerade aus wie der
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