Unruhe: Der erste Fall für Kommissar Steen (German Edition)
Piver spulte bis zu der Stelle vor, an der die Zivilbeamten über den Demonstranten herfielen. Keine Reaktion, auch nicht, als die Episode zu Ende war und die Polizisten und der Aktivist von dem kleinen Bildschirm verschwunden waren. Das wunderte Piver.
»Das ist doch krank, oder?«, fragte er.
»Spannende Sache, wirklich interessant. Kannst du zu der Stelle mit dem Mord vorspulen?«
Er schien völlig unaufgeregt.
»Meinst du etwa nicht? Das hier ist doch der Beweis, dass die Bullen eine Grenze überschreiten, und zwar weit.«
»Ja, schon, das tun sie hundertprozentig. Aber das andereDing ist ja die ganz große Sache, oder? Los jetzt, sehen wir uns das an. Wie weit musst du vorspulen?«
Piver spulte das Band auf 1:30 vor.
Zwei Personen traten unter den Friedhofsbäumen hervor. In das Hauptfeld der Kamera. Sie ließen das Band laufen. Piver konnte wieder nicht fassen, dass er hier saß und einen Mann auf dem Bildschirm sah, der gleich sterben würde. In seinem Viertel. Vor weniger als vierundzwanzig Stunden. Und nicht nur das. Die Schirmmütze verbarg einen Mörder.
Der andere griff nach der Kamera und sagte:
»Komm, sehen wir es uns noch einmal an. Hier kann man zoomen, warte, ich zeig’s dir.«
Das Bild kam ein ganzes Stück näher, als Piver es zuvor eingestellt hatte. Die beiden Männer kamen unter den Bäumen hervor. Er konnte ihre Gesichter nicht sehen, aber er war sicher, dass er sie deutlich hätte erkennen können, wenn sie nach oben in die Kamera geschaut hätten. Erst jetzt bemerkte er, dass die Hände des kahlköpfigen Mannes am Rücken gefesselt waren.
»Sieh dir das an, er trägt Handschellen«, sagte Piver.
»Hast du das Band noch jemandem gezeigt?«, fragte der andere.
»Nein, noch nicht.«
Es verging eine Minute, in der nichts geschah. Die beiden Männer waren hinter der Mauer. Dann tauchte einer von ihnen wieder auf, und zwar der, auf dessen Rücken POLIZEI zu lesen war. Der Mann nahm die Schirmmütze ab und blickte auf. Piver spulte zurück und zoomte noch näher heran. Er spürte eine Hand auf seiner Schulter und wusste plötzlich, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte, so, als werde ein Zusammenhang im selben Moment klar, in dem der letzte Fluchtweg versperrt wurde.
»Stopp, halt da an«, kam es von dem anderen.
Das Geräusch von etwas Kaltem und Schwarzem war zu hören.
»Wer bist du eigentlich?«
»Das tut nichts zu Sache. Hauptsache, du sitzt ganz still.«
Piver hob langsam den Kopf und sah den Mann an, der behauptete, ein Freund von Lindberg und Mitarbeiter der Redaktion zu sein. Es lief ihm kalt über den Rücken, als der Mann mit einer raschen Bewegung eine schwarze Schirmmütze auf den Kopf setzte und dasselbe Lächeln, dieselben Haare, dasselbe Gesicht offenbarte, das Piver gerade auf dem Band gesehen hatte.
Er konnte gerade noch den Gedanken fassen, die Tür zu öffnen und aus dem Auto zu stürzen, als der andere etwas gegen seine Brust drückte und alles schwarz wurde.
17
Am Freitag sollten die Unruhen ihren Höhepunkt erreichen, doch Axel hatte keine Vorstellung davon, wie schlimm es werden würde. Kurz nach neun brachte er Emma im Kinderzimmer ins Bett. Sie hatte die schlafenden Männer in der Gerichtsmedizin anscheinend schon wieder vergessen und wollte am kommenden Nachmittag ins Kino gehen, wenn sie aus dem Rund-um-die-Uhr-Kindergarten kam, in dem Axel und seine Exfrau sie wegen ihrer wechselnden und langen Arbeitstage untergebracht hatten. Aschenputtel und Pizza. Aber zuerst musste Axel arbeiten. Es gab viele Streitigkeiten zwischen ihm und Cecilie, aber dabei ging es nur selten darum, wie viel sie arbeiteten und wie wenig Zeit sie für ihre Tochter hatten, selbst wenn sie bei ihnen war. Manche Dinge waren zu schmerzlich, um darüber zu streiten, und was das anging, hatten sie beide ein schlechtes Gewissen.
Als sie von der Gerichtsmedizin nach Hause gekommen waren, hatte Emma Kinderstunde geschaut und Axel Spaghetti Carbonara gemacht und auf SMS und Nachrichten geantwortet, die auf seiner Mailbox eingegangen waren. Es gab zahlreiche Anfragen von Journalisten, die er aber ignorierte, außer dervon Dorte Neergaard, die fragte, ob es in Ordnung sei, wenn sie gegen 22.00 Uhr vorbeikäme, vorausgesetzt, es käme nichts dazwischen. Ganz ausgezeichnet, vorausgesetzt, sie habe die Aufnahmen dabei.
Zwischen Axel und ihr gab es etwas, das über Sex hinausging. Eines schönen Tages hatte sie vorgeschlagen, hinterher einen Joint zu rauchen. Wenn du nicht
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