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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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Prolog
    Der Vorhang ging auf; Regine lächelte und verneigte sich; im Lichterspiel des großen Kronleuchters flatterten rosa Flecken über die bunten Abendkleider und die dunklen Röcke der Herren hin; in jedem Gesicht waren Augen, und auf dem Grunde aller dieser Augen verneigte sich Regine und lächelte dabei; ein Grollen von Katarakten, ein Rollen wie von Lawinen erfüllte das alte Theater; eine ungestüme Gewalt riß sie von der Erde fort und warf sie zum Himmel empor. Sie verneigte sich nochmals. Der Vorhang fiel, und sie fühlte, daß Floras Hand in der ihrigen lag; heftig ließ sie sie fallen und ging dem Ausgang zu.
    «Fünf Vorhänge sind nicht schlecht», sagte der Regisseur.
    «Für ein Provinztheater!»
    Sie ging die Stufen zum Foyer hinab. Dort warteten sie mit Blumen; im Nu fiel sie auf die Erde zurück. Solange sie im Dunkeln saßen, unsichtbar, namenlos, wußte man nicht, wer sie waren; man konnte glauben, man stünde vor einer Versammlung von Göttern; doch wenn man sie einzeln vor sich sah, fühlte man sich armen, unbedeutenden Wesen gegenüber. Alle sagten das, was sie sagen mußten: «Wirklich genial! Überwältigend!», und ihre Augen leuchteten vor Begeisterung: eine kleine Flamme, die im rechten Augenblick entzündet und sparsam wieder ausgelöscht wurde, wenn man sie nicht mehr brauchte. Auch Flora umringten sie; sie hatten ihr Blumen mitgebracht, und solange sie mit ihr sprachen, zündeten sie die Flamme in ihren Augen an. Als wenn man uns beide gleichzeitig lieben könnte, dachte Regine empört, die Schwarze und die Blonde, jede abgeschlossen in ihrer Eigenart! Flora lächelte. Nichts hinderte sie, zu glauben, sie sei genauso talentvoll und so schön wie Regine.
    Roger wartete auf Regine in ihrer Garderobe; er umarmte sie. «So gut wie heute abend hast du noch nie gespielt», sagte er.
    «Zu gut für dies Publikum», gab Regine zurück.
    «Sie haben tüchtig geklatscht», bemerkte Annie dazu.
    «Oh, für Flora so gut wie für mich.»
    Sie setzte sich an den Frisiertisch und begann sich zu kämmen, während Annie ihr Kleid aufhakte. Flora, dachte sie, kümmert sich nicht um mich, ich sollte mir ihretwegen auch keine Gedanken machen. Aber sie machte sich Gedanken und hatte sogar im Mund einen bitteren Geschmack davon.
    «Stimmt es, daß Sanier hier ist?» fragte sie.
    «Ja. Er ist mit dem Acht-Uhr-Zug aus Paris gekommen. Offenbar will er mit Flora das Wochenende verbringen.»
    «Er treibt es furchtbar mit ihr», meinte sie.
    «Ja. Das kann man sagen.»
    Sie erhob sich und ließ ihr Kleid auf den Boden fallen. Sie machte sich nichts aus Sanier, fand ihn sogar eher ein bißchen lächerlich; aber Rogers Worte hatten ihr doch einen Stoß versetzt.
    «Ich frage mich, was Mauscot dazu sagt.»
    «Er sieht Flora vieles nach», meinte Roger.
    «Und Sanier findet sich mit Mauscots Vorhandensein ab?»
    «Ich denke mir», meinte Roger, «er weiß nicht genau Bescheid.»
    «Das denke ich mir auch.»
    «Sie warten im
Royal
auf uns, sie wollen noch etwas mit uns trinken. Meinst du, wir gehen hin?»
    «Aber gewiß doch. Gehen wir.»
    Ein kühler Wind strich vom Fluß her zur Kathedrale hin, deren gezackte Türme man sah. Regine fröstelte. «Wenn
‹Wie es euch gefällt›
ein Erfolg wird, mache ich nie wieder eine Provinztournee.»
    «Es wird ein Erfolg», sagte Roger. – Er drückte Regines Arm an sich. «Du wirst eine große Schauspielerin.»
    «Sie ist eine große Schauspielerin», wies Annie ihn zurecht.
    «Nett, daß du das meinst.»
    «Meinst du es denn nicht?» fragte Roger.
    «Was beweist das schon?» sagte sie. Sie zog den Schal fester um den Hals. «Es müßte ein Zeichen kommen. Man müßte zum Beispiel plötzlich eine Aureole um den Kopf haben, so daß man wüßte, man ist wirklich eine zweite Duse oder Rachel   …»
    «Auch Zeichen werden kommen», meinte Roger vergnügt.
    «Keines wird zuverlässig sein. Was für ein Glück für dich, daß du nicht ehrgeizig bist.»
    Er lachte: «Warum machst du es mir nicht nach?»
    Sie lachte auch, war aber nicht froh dabei: «Weil ich eben nicht kann», sagte sie.
    Eine rotleuchtende Grotte tat sich am Ende der finsteren Straße auf. Das war das
Royal
. Als sie eintraten, sah sie sie gleich mit dem übrigen Ensemble an einem Tisch sitzen. Sanier hatte den Arm um Floras Schultern gelegt, er hielt sich sehr gerade in seinem eleganten Anzug aus bestem englischem Stoff und sah sie mit Blicken an, die Regine kannte, war sie ihnen doch oft genug in Rogers Augen

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