Unser Leben mit George
signalroter Kasten, ein Tummelplatz für ecoli und toxicara.
Ich halte die Luft an, um dem Würgereiz vorzubeugen, hebe den Deckel mit den
Fingerspitzen und werfe den Beutel hinein. Dann renne ich weg, ehe die Giftgase
mich einholen. Das, geht mir dabei durch den Kopf, sind die Nachteile der
Hundehaltung.
Manchmal, besonders an einem Morgen wie
diesem, ist es schwer, sich an die Vorteile zu erinnern.
George macht eine 180-Grad-Wendung in
Richtung Heimat — schließlich hat er seine Pflicht getan und will nicht
einsehen, welchen weiteren Sinn es haben soll, den Spaziergang fortzusetzen — aber
da hat er sich in mir getäuscht. Ich verkürze die Leine und ziehe ihn über die
Straße, die die Wohnviertel von Hampstead Village von der offenen
Parklandschaft trennt. Auf der anderen Seite angekommen, gratuliere ich mir
insgeheim zu diesem Sieg: Ich habe es tatsächlich fertiggebracht, dass George
hier draußen ist, und es ist erst 8.45. Er merkt, dass es keinen Zweck hat,
sich weiterhin dem Morgenspaziergang zu widersetzen, also trabt er lustlos und
mit herabhängenden Lefzen hinter mir her. Er muss vielleicht Gassi gehen, aber
Spaß machen wird es ihm auf keinen Fall.
Am Anfang der Allee, die auf die große
Wiese führt, die zu den Teichen am South End Green hin abfällt, lasse ich
George von der Leine. Überall um uns herum Labradors, Retriever, Schäferhunde,
Dalmatiner, Dackel, Jack-Russell-Terrier und verschiedene Promenadenmischungen,
die durchs Gras tollen, hinter Bällen herrennen, Stöckchen apportieren oder
einfach nur fröhlich um ihre Eigentümer herumtoben. Ganz anders mein Cavalier.
Er steht wie angewurzelt, während ich losgehe. Als ich die Hälfte der Wiese
hinter mir habe, blicke ich verstohlen über die Schulter, um zu sehen, ob er
mir folgt. Nein, er sitzt noch immer an genau derselben Stelle, wo ich ihn
losgemacht habe. Wie immer protestiert George gegen das Spazierengehen, indem
er sitzen bleibt.
Ich rufe ihm zu, er soll bei Fuß gehen.
Ich schreie. Ich pfeife. Ich brülle. George bleibt so bewegungslos sitzen wie
einer dieser niedlichen Plüschhunde, denen er so ähnlich sieht. Erst als ich
mich hinter einem Baum verstecke, so dass er mich nicht mehr sehen kann, wird
er lebendig. Jetzt bangt er um sein täglich Brot und macht ein paar Schritte in
meine Richtung, fällt dann in einen schnellen Trab und schließlich in ein
verzweifeltes Rennen.
Und während er rennt, tritt eine
Verwandlung ein: Georges missmutiges Gesicht verschwindet. Als er die halbe
Wiese hinter sich gelassen hat, könnte ich schwören, dass er lächelt,
vielleicht strahlt er sogar. Selbst ein so fauler Hund wie er kann sich den
Freuden eines Sprints im Freien an einem so herrlichen Frühlingsmorgen nicht
verschließen, ein Morgen, an dem die Luft frisch und kühl ist, die Sonne noch
niedrig steht und die Bäume kurz vor dem Ausschlagen sind.
Plötzlich ist George ein anderes Tier.
Oder besser, jetzt ist er ein Tier. Die Nase auf dem Boden, wie die
Jagdhunde, von denen er abstammt, folgt er den Fährten von Kaninchen,
Eichhörnchen und Füchsen, die kreuz und quer über die Heide laufen. Er
erschreckt sonnenbadende Spechte und scheucht Elstern auf. Er jagt Eichhörnchen
die Bäume hinauf und trinkt aus schlammigen Pfützen. Er hält inne, schnüffelt
auf der Erde herum und lässt sich dann auf den Rücken fallen, um sich
begeistert zu wälzen, wobei er fröhlich mit den Beinen in der Luft strampelt.
Ich setze mich auf eine Bank und sehe
zu, mein Ärger ist verflogen. Okay, George ist schwierig, er ist eigensinnig
und dickköpfig und mag nicht draußen sein. Er rennt nicht hinter Bällen her wie
andere Hunde, er hört nicht auf Befehle, apportiert keine Stöcke, gibt nicht
Pfötchen und kann auch sonst keine Kunststücke. Eigentlich ist er zu gar nichts
zu gebrauchen. Das Einzige, was er kann, ist Brathähnchen fressen, bellen,
Papiertaschentücher zerreißen und sich von früh bis abends bedienen lassen.
Aber ab und zu vergisst er, sich wie ein verwöhnter Pascha zu benehmen, und
wird ein ganz normaler Hund voll reiner, überschäumender tierischer
Lebensfreude. Und wenn ich ihm dann zusehe, erwachen meine Lebensgeister
ebenfalls.
George hat sich anscheinend lange genug
gewälzt und sieht außerordentlich zufrieden aus. Er springt auf die Beine,
entdeckt mich auf der Bank, rast über die Wiese auf mich zu und springt auf
meinen Schoß. Mich erfasst Rührung über so viel Liebe, ich umarme ihn und gebe
ihm einen Kuss mitten
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