Unser Mann in London
fremden Geld geblendet». Ich wurde ein Fußballer in der besten Liga der Welt, ein Kolumnist für die
Times
und für
Die Zeit
«etwas, was es nicht gab: ein Deutscher, der England zum Lachen bringt». Die englische Tageszeitung
The Guardian
sah mich «auf einer Mission, sämtliche Klischees zu unterlaufen: Er ist ein Deutscher mit Sinn für Humor. Mehr noch, er ist ein deutscher Fußballer mit Sinn für Humor.» Nur mich haben sie damit nicht überzeugen können. Ich bin überhaupt nicht witzig.
In meinen Augen wurde ich in England einfach nur erwachsen – und im besten Fall ein Londoner. Ein Londoner zu sein, bedeutet, tolerant, höflich und selbstironisch aufzutreten und sich beim ersten Sonnenstrahl hemmungslos die Haut zu verbrennen, bis sie krebsrot ist. Von London geprägt, könnte ich heute niemanden mehr sofort nach dem Kennenlernen fragen, was er arbeitet oder ob er verheiratet ist –
oh my God
, wie peinlich, das wäre doch viel zu privat! Dafür kann ich ohne Probleme jederzeit eine halbe Stunde leidenschaftlich über das Wetter parlieren, und, mal ehrlich, was gibt es Schöneres als den echten Londoner Regen, der fein wie Glitzerstaub auf die Stadt fällt? Du gehst ohne Regenschirm, ohne Kapuze unter ihm hindurch und fühlst dich nicht nass, sondern erfrischt.
Londoner finden alles an ihrer Stadt am besten, sogar den Regen, und meckern trotzdem permanent nur über London. Lob, gar Pathos wäre doch unelegant, oh Gott, wie peinlich. Wobei ich immer noch nicht alles verstehe, was in London als Gesetz gilt, zum Beispiel, warum man Tee auf keinen Fall aus großen Kaffeetassen trinken darf. «Das kannst du nicht machen!», sagte mein Freund Steve nur, als ich ihm Tee einmal in einer französischen Kaffeeschale servierte. «Du kannst mich nicht zwingen, Tee aus diesem Swimmingpool zu trinken!»
Über ein Jahrzehnt lebte ich in London, ehe mich der Profifußball wieder nach Deutschland führte, nach Hamburg zum FC St. Pauli. Für große Gefühle wie Heimweh oder Sehnsucht bin ich zu nüchtern, fürchte ich. Doch denke ich in Hamburg oft an London, und dann lächle ich innerlich. Ich sehe mich in meinem vorletzten Londoner Jahr, auf dem Weg zum Training bei Ipswich Town. Ich fuhr um halb sieben mit dem Auto los, um die 120 Kilometer nach East Anglia rechtzeitig zu bewältigen. So früh am Morgen, das ist der Moment, wenn die Stadt, die angeblich niemals schläft, döst; der einzige Zeitpunkt, wenn du in dieser Stadt von über acht Millionen Einwohnern fühlst, sie für dich alleine zu haben. Ich startete an unserer Wohnung in Fulham im Südwesten, die Sonne ging gerade als oranges Feuerwerk am Himmel auf – die Sonne in London ist fast noch besser als der Regen, jeden Abend geht sie in einer neuen Form unter, mal als leuchtender Tennisball, mal als rotes Stierkämpfertuch, mal als abstrakte Kunst voller wirrer roter, orange- und lilafarbener Fäden. Morgens um halb sieben in Fulham ist London ein Dorf, die Straßen sind leer, die blühenden Kirsch- und Lindenbäume vor den breiten viktorianischen Ziegelsteinhäusern geben der Szene etwas Luftiges, Unschuldiges. Die Fahrt geht Richtung Osten, schon bin ich auf Chelseas King’s Road, wo London in den Sechzigern schwang, als Frauen Minirock trugen und die Männer die Haare dafür lang. Heute kreuzen sich auf der King’s Road die Reinigungsfahrzeuge mit den nach Hause wankenden letzten Königen der Nacht. Der Buckingham Palace kommt in Sicht, das Symbol der britischen Überzeugung, dass alle Spleens akzeptabel sind, wenn man sie nur Traditionen nennt. The Strand rauscht vorbei mit den alten Vertretun-gen der Commonwealth-Staaten. Als Großbritannien noch dachte, es sei die ganze Welt. Dann schon die Fleet Street, die Heimat des legendären britischen Journalismus, jener Bastion großartiger politischer Enthüllungen und nackter Mädchen auf Seite drei. In der City mit ihren Straßen, die Schluchten gleichen zwischen all den hohen Bankgebäuden, bin ich plötzlich allein unter lauter Sportwagen und Limousinen. Die Investmentbanker sind schon auf dem Weg zu den asiatischen Märkten auf ihren Bildschirmen. Schließlich tauchen wieder die Reihenhäuser auf, aber niedriger, gedrungener als in Fulham. Fabrikhallen und Sozialwohnungen in Mietskasernen brechen die ästhetische Monotonie der Reihenhäuser. London ist plötzlich nicht mehr grün im East End. In der Ferne thront schon die Queen-Elizabeth-Brücke auf ihren riesigen weißen Stelzen. An ihrer
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