Unsterbliche Liebe
»Ich wäre gerne vor Tagesanbruch zurück bei Dixie.«
»Schläft sie immer noch den ganzen Tag durch?«
Kit grinste. »Sagen wir mal, sie ist nachts entschieden lebhafter.«
Justin ignorierte den Stich, den er bei diesen Worten verspürte. Die beiden hatten schließlich eine Menge durchgemacht, und Kit hatte Dixie mehr als verdient. Gleichzeitig wurde ihm aber dabei einmal mehr seine Einsamkeit bewusst.
Ein aufgeschlagenes Buch auf den Knien, versuchte Justin, nachdem Kit nach oben zu seiner Gefährtin gegangen war, sein Gefühlsleben zu ordnen, was ihm alles andere als leicht fiel. Jahrzehntelang hatte er Gwyltha nachgetrauert, und jedes Mal wenn er an sie dachte, einen dumpfen Schmerz verspürt. Nun tat es plötzlich nicht mehr weh, und nichts war zurückgeblieben außer ein paar guten Erinnerungen.
Wenn Gwyltha mit Vlad glücklich war, dann sollte es so sein. Justin stand diesem Sinneswandel noch skeptisch gegenüber, aber es war tatsächlich so. Sein Kummer war verflogen, und seine Äußerung Kit gegenüber, er würde dem Treffen mit Vlad gelassen entgegensehen, war nicht gelogen. Nun kam es einzig darauf an, ein fest umrissenes Territorium für Kit und Dixie zu schaffen, und dass Stella sein vermeintliches »Geschenk« akzeptierte.
* * *
»Hast du schon gehört, was letzte Nacht passiert ist?« Stellas Nachbarin, Mrs Zeibel, fing sie ab, als sie gerade aus dem Auto stieg.
»Was ist denn passiert?« Es gab immer Ärger in diesem Wohnviertel.
»Sid Day wurde verhaftet.«
Stella wunderte sich, dass sie und Sam nichts gehört und einfach durchgeschlafen hatten. »Wann? Was ist passiert?« Sie war auf das Schlimmste vorbereitet.
»Drüben an der Stewart-Schule. Sie waren zu viert und wollten gerade Computer und anderes Zeug wegschaffen.« Mrs Zeibel schnalzte mit der Zunge und runzelte die Stirn. »Diese Jungs aber auch. Ich weiß nicht. Die arme Mutter.«
Die arme Mutter hatte sich zweifelsohne damit abgefunden, dass ihre Söhne immer wieder verhaftet wurden. Was blieb ihr schon anderes übrig. Nun hatte es Sid wieder mal erwischt, und Sam, der jüngere, hing ständig in Gesellschaft der Drogendealer herum … Stella seufzte. Das hier war kein Ort, um ein Kind großzuziehen, und sie blieb auch nur deshalb, weil sie ihrer Mutter versprochen hatte, das Haus nicht aufzugeben. Zu dumm.
Darüber konnte sie sich jetzt keine Gedanken machen. Sie hatte Sam zur Schule gebracht, und es gab jede Menge zu tun. Kaum hatte Stella jedoch die Tür hinter sich zugemacht, beherrschte der Mann, der tags zuvor in Dixies Laden gewesen war, ihre Gedanken. Justin Corvus! Sie flüsterte seinen Namen halblaut vor sich hin, als sie das Frühstücksgeschirr abräumte. Passte irgendwie zu ihm, zu seinen geschliffenen Manieren und der glatten, aber nicht aalglatten Art. Und er war geradezu gefährlich gut aussehend, mit Augen, die sie auf merkwürdige Gedanken brachten, und was seine Stimme anging … Damit könnte er sie im Handumdrehen rumkriegen. Nein, könnte er nicht! Dazu war ihr Selbsterhaltungstrieb zu groß – und ihr derzeitiges Leben schon kompliziert genug.
2
Justin hätte so gerne durchgeatmet, nur einmal, tief und entspannt. Seit Jahrhunderten war er nicht mehr so nervös gewesen. Warum eigentlich? Er sollte doch lediglich einen Karton abgeben. Das Problem bestand wohl darin, dass er bei dieser Gelegenheit auch irgendetwas sagen musste. »Mich drängt es dazu, von deinem schwer duftenden Blut zu kosten«, käme sicher nicht besonders gut an, aber er hatte nun einmal diese furchtbare Angst, doch mit einem Satz wie diesem herauszuplatzen.
Bei Abel, Hilfe! Er war kein jugendlicher Heißsporn und auch kein unerfahrener Frischling, sondern ein gestandener Großvampir. Er verfügte über genügend Selbstkontrolle, um sich zehn Minuten mit einer Sterblichen unterhalten zu können. Oder etwa nicht?
»Alles okay?«, fragte Dixie, als sie ihm einen Zettel mit einer groben Wegbeschreibung aushändigte. »Oder soll ich das Paket lieber selber bei Stella vorbeibringen?«
»Nein, nein!«, sagte er in einem beinah strengen Ton. »Kein Problem, Dixie. Du hast die ganze Nacht durchgeschuftet und solltest dich lieber ausruhen.« Sie hatte für Sam genäht … und für ihn.
»Du warst doch auch die ganze Nacht unterwegs!«
»Daran bin ich seit Jahrhunderten gewöhnt.«
Sie grinste. »Sieht man gar nicht.«
»Noch nicht, Dixie.«
Mit ihren grünen Augen blickte sie zu ihm hoch, als ahnte sie, was in ihm vorging. »Ich kann
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