Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
Big H einen Fernseher hat und immer diese Kochsendungen anguckt, hat sie nur noch Verachtung für meine Currys übrig«, sagt Mum. Sie hat immer schon alles, was ihr unter die Finger gekommen ist, in einen Topf geworfen und zu herrlich duftenden Mahlzeiten verarbeitet – zähe Hühner, Hammel, Krokodile, plattgefahrene Frösche. »Big H ist wohl der Meinung, man müsste fluchen und schwitzen und Wutanfälle haben wie Jamie Oliver«, sagt Mum. »Aber doch nicht für meine hübschen, still vor sich hin köchelnden, weinseligen Eintöpfe.«
Auf der einen Seite der Küche steht, mit dem Rücken zum Garten, der Holzherd, auf der anderen ein kleiner, schwer arbeitender Kühlschrank (bei der Hitze produziert er nur noch schwitzende Butter oder mit Wasserperlen benetzte Flaschen, ohne dass je etwas richtig kalt wird). Hinter Big H stehen in einem Regal Mums neun orangerote Le-Creuset-Töpfe. Ihre Unterseiten sind auf ewig eingeschwärzt von den eingebrannten Flüssigkeiten Hunderter in ihnen gekochter Currys und Eintöpfe.
In dem Gebäude rechts von dem Torbogen befinden sich das Schlafzimmer meiner Eltern und Mums Bibliothek mit ihrer Sammlung an Videos (meist Musicals und Opern, aber auch britische Historienschinken und ein paar hübsche, trostreiche Mordgeschichten), ihren Büchern und Malutensilien. Die oberen Regalbretter sind vollgestellt mit Schnitzereien, anderen kunstvollen Stücken und dem schwer in Mitleidenschaft gezogenen Bronze-Wellington (dem inzwischen wie dem Opfer einer mörderischen Trainingseinheit im Polo Club beide Steigbügel und die Zügel fehlen). Links vom Torbogen steht ein Häuschen mit zwei Zimmern, einem Gästeschlafzimmer und Dads Büro. Es handelt sich um einen strohgedeckten Backsteinbau, der allem möglichen Viehzeug freien Zugang bietet. Ich stoße die Tür auf und bleibe stehen, und als sich nichts auf meine Knöchel stürzt, wage ich mich vor bis zum Bett, setze mich und ziehe die Füße hoch. Big H bringt mir ein frisches Handtuch, bleibt stehen, lässt den Blick durchs Zimmer schweifen. »Frösche«, sagt sie nur und geht hinaus. Als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben, sehe ich, was sie gemeint hat. Das Zimmer ist übersät mit großen alabasterweißen Baumfröschen. Sie hängen im Moskitonetz, kleben an den Wänden, klammern sich an die Türen, hüpfen über den Fußboden. Bald mache ich die Erfahrung, dass ich nur einen halben Tetrapack südafrikanischen Wein trinken und eine Schlaftablette nehmen muss, und ein Frosch kann sich an meiner Backe festsaugen, ohne dass ich wach werde. »Na, freu dich«, sagt Mum. »Ist doch eine wunderbare Geschichte für eins deiner grässlichen Bücher.«
Die Arbeit auf der Farm beginnt im Morgengrauen, wenn es noch kühl ist, und wenn ich aufwache, ist sie bereits in vollem Gang. Mum ist mit ihrem Gehstock zu den Fischteichen unterwegs, ein Rudel Hunde im Schlepptau. »Die Eisvögel sind so was von gierig und ungezogen«, sagt sie und schüttelt den Gehstock gegen die schwebenden Silhouetten über einem ihrer Teiche. Dad geht mit großen Schritten seine Bananen inspizieren – »Vierunddreißig Kilo die erste Staude!«, verkündet er triumphierend. Die Farm meiner Eltern ist ein Wunder an Produktivität, Ordnung und Routine – Messen, Füttern, Schneiden, Jäten, Abwiegen, Verpacken.
Bo, nur mit Mühe mit Dad Schritt haltend,
auf der Farm, Sambia, 2010 © Ian Murphy
Von Weitem wirken Dads Bananen wie ein grüner Dom aus Blättern. Ganz am Anfang waren nachts Elefanten eingefallen und hatten Früchte geraubt, Blätter abgerissen, Stämme umgestürzt. Dad wurde nachts wach und hörte sie durch seine Plantage brechen. »Apropos selektives Hören«, sagt Mum. »Wenn ich was sage, ist er taub, aber wenn nachts ein Elefant einer seiner Bananen ein Härchen krümmt, springt er aus dem Bett.« Nur mit kenianischen Kakoishorts und seinen blauen Bata-Slippern bekleidet rannte er eine Fackel schwenkend zur Plantage hinunter. »Hee, ihr Mistviecher, jetzt reicht’s! Macht, dass ihr wegkommt!« Erst der Schlafentzug veranlasste meinen Vater schließlich, einen Elektrozaun um die Plantage zu ziehen. »Damit hatte es ein Ende mit der Elefantenspeisung«, sagt Mum.
Mum hat sich ihr gesamtes Wissen über die Buntbarschzucht selbst beigebracht – sie ist sogar mit Chad Mbewe, dem Geschäftsführer ihres Fischereibezirks, zu Kolloquien über die neuesten Zuchttechniken nach Malaysia geflogen. »Die eisige Klimaanlage hat uns beinahe
Weitere Kostenlose Bücher