Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
und zog daran. »Wissen Sie, was das für ein Baum ist?«, fragte er.
Meine Mutter runzelte die Stirn. »Ein falscher Marula vielleicht?«
Mr. Zulu schüttelte den Kopf: »Nein, Madam. Das ist der Baum des Vergessens. Jeder Häuptling pflanzt sich einen solchen Baum in sein Dorf.« Mr. Zulu hielt den Unterarm steif, als wollte er die Kraft des Baums demonstrieren. »Man pflanzt einfach einen kleinen Ast in die Erde, und aus dem wächst dann ein ganzer Baum. Es heißt, die Ahnen stecken in dem Baum. Wenn du krank bist oder die Geister dich plagen, setzt du dich unter den Baum des Vergessens, und deine Vorfahren helfen dir, alles wieder in Ordnung zu bringen.« Er nickte und zog an seiner Zigarette. »Es ist so – alle deine Probleme und Streitereien werden gelöst.«
»Glauben Sie daran?«, fragte Mum, aber bevor Mr. Zulu antworten konnte, wischte sie ihre eigene Frage beiseite. »Ich glaube daran«, sagte sie. »Zu zweitausend Prozent.«
Mum schaute noch einmal hinauf in die Zweige des Baums und lächelte. »Bringen Sie mir doch bitte meinen Campingstuhl, Mr. Zulu«, sagte sie. »Ich denke, heute nehme ich hier meinen Tee.« Mr. Zulu ging hinüber zu dem Pick-up-Truck, um Mum ihren Stuhl zu holen. Dad, noch geschwächt vom Malariaanfall, lag unter der Persenning und betrachtete den über einem Mopane-Feuer kochenden Kessel. »Ihre Frau hat den Platz für das Haus gefunden«, berichtete ihm Mr. Zulu. Dad stützte sich auf den Ellbogen und blickte mit zusammengekniffenen Augen in Richtung Fluss. Im Gegenlicht der glühenden Nachmittagssonne stand dort – auf ihren Gehstock gestützt – Nicola Fuller of Central Africa in verhaltener Siegespose unter dem Baum des Vergessens.
Nicola Fuller of Central Africa zu Hause
Mum und Dad, Cocktailstunde unter dem
Baum des Vergessens, Sambia, 2010 © Ian Murphy
Als ich aus dem Flugzeug steige und die Ankunftshalle des Lusaka International Airport betrete, warten Mum und Dad bereits auf mich. Sie stehen vorne in der ersten Reihe, drücken sich beinahe die Nasen an der Glasscheibe platt, Dad in einem blauen Businesshemd und ausgeleierten Bermudashorts, die Pfeife im Mundwinkel. Mum – ganz beschwipst vor Aufregung – trägt eine Nadelstreifenbluse und khakifarbene Dreiviertelhosen. Kaum hat sie mich erblickt, hüpft sie auf beiden Beinen und reckt zwei Finger zum Victory-V in die Höhe, als hätte ich als erste Frau im Soloflug den Atlantik überquert. »Juu-huu!«, ruft sie. »Juu-huu!«
Aber je näher ich ihr komme, desto weniger weiß Mum, was sie tun soll; sie schließt mich in eine kurze, unbeholfene Umarmung und akzeptiert einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Haben sie dir im Flugzeug eine Menge leckeren Wein zu trinken gegeben?«, fragt sie. Dad schaut mich leicht verwundert an (ich habe eine andere Haarfarbe als beim letzten Mal, und er bemerkt den Unterschied, ohne ihn benennen zu können), klopft mir liebevoll auf die Schulter und nimmt mir den Koffer ab. »Mein lieber Schwan, Bobo«, sagt er, und ich weiß genau, was jetzt kommt, »wie viele Paar Schuhe hast du da denn drin?« Ein beharrliches Überbleibsel aus der Zeit, als Mum nichts anderes als Stöckelschuhe auf ihre Hochzeitsreise in den Tsavo-Nationalpark mitgenommen hatte.
Ich werde zusammen mit einem Generator, der Öl verliert, Säcken mit Fischfutter und meinen Koffern auf die Ladefläche des Pick-up verfrachtet. »Meinst du, du kommst da hinten zurecht, Bobo?«, fragt Mum, dabei weiß sie, dass es mein Lieblingsplatz ist.
»Bestens«, sage ich.
»Ja, das tut ihr ganz gut nach der vielen Limousinenkutschiererei da drüben«, sagt Dad und klopft gegen die Ladeklappe. Er kurbelt das Fenster herunter und zahlt den Parkplatzwächter. »Aber nicht alles für Wein und Weiber verprassen«, mahnt er ihn, und dann sind wir unterwegs, sausen durch eine perfekte Nacht in Lusaka nach Hause – die Luft ist erfüllt von dem süßlich-stechenden Duft nach Diesel, brennendem Abfall und dem wuchernden Grün aus den Abflusskanälen. Funken aus Dads Pfeife fliegen mir um Schultern und Haare.
Am oberen Ende des Gartens der Fisch- und Bananenfarm meiner Eltern steht ein aus Backsteinen gemauerter Torbogen, von dem aus eine breite Backsteintreppe vorbei am Baum des Vergessens zu einer Freiluftküche führt, in der Big H an den Vormittagen riesige duftende Eintöpfe aus Gemüse und Rinderknochen für die Hunde kocht und an den Nachmittagen die Nase über das Abendessen rümpft, das Mum für uns zubereitet. »Seit
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