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Untergang

Untergang

Titel: Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari , Aus dem Französischen von Christian Ruzicska
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Marie-Angèle versammelte sämtliche Kräfte ihrer Liebe, um sie zu segnen und ziehen zu lassen, ohne ihr Fortgehen mit Groll zu beschmutzen. So entfernte sich Hayet, den Segnungen gegenüber ebenso gleichgültig wie dem Groll, ohne zu ahnen, dass ihr Verschwinden bereits eine Welt zum Umsturz gebracht hatte, an die sie schon gar nicht mehr dachte, denn Marie-Angèle wusste inzwischen mit Gewissheit, dass sie die Bar nicht wieder eröffnen würde, sie würde sich kein einziges Mal mehr das Schauspiel der widerlich gelblich auskristallisierenden Suppe in den gebrauchten Gläsern antun, den Geruch von nach Anis riechendem Atem nicht, nicht den Aufschrei der Stimmen der Kartenspieler inmitten nie enden wollender Winter, deren aufkommende Erinnerung ihr Schwindel bereitete, und nicht die unentwegten Streitereien mit ihrem Ritual der nie in die Tat umgesetzten Drohungen, denen jedes Mal weinerliche und der Ewigkeit geschworene Versöhnungen folgten. Sie wusste, dass sie das nicht konnte. Virginie, ihre Tochter, hätte akzeptieren müssen, sich an ihrer Stelle um die Bar zu kümmern, bis sie eine neue Kellnerin eingestellt haben würde, aber diese Lösung war von keinem Standpunkt aus in Betracht zu ziehen. Virginie hatte in ihrem Leben nichts getan, was auch nur im Entferntesten an eine Art Arbeit erinnern konnte, sie hatte stets das unendliche Feld der Untätigkeit und Nachlässigkeit erforscht und sie schien entschieden, bis ans Ende ihrer Berufung gehen zu wollen, aber wäre sie auch ein wahres Arbeitstier gewesen, ihre missmutige Laune und ihr Gehabe einer Infantin machten sie vollkommen ungeeignet, eine Aufgabe zu erfüllen, zu der es gehörte, regelmäßigen Kontakt mit anderen menschlichen Wesen zu pflegen, und waren sie auch so ungeschliffen wie die täglichen Gäste der Bar. Marie-Angèle würde sicherlich eine Kellnerin finden, aber sie fühlte sich nicht in der Lage, noch einmal als Chefin aufzutreten, sie weigerte sich, die Öffnungszeiten zu überwachen und jeden Abend die Kasse zu machen, um zu prüfen, ob die Abrechnungen stimmten, sie wollte die Komödie der Autorität und der Verdächtigungen nicht mehr spielen, die Hayet so lange schon hatte völlig überflüssig werden lassen, vor allem aber wollte sie sich nicht eingestehen, dass Hayet letztlich vielleicht ersetzbar war. Sie sah Virgile Ordioni schwankend in Richtung Toilette gehen, sie dachte voller Fatalismus an das traurige Schicksal, das die tadellos gechlorte Klobrille ereilen würde, ganz zu schweigen vom Boden und den Wänden, sie sah sich schon den ganzen Sonntagnachmittag über mit dem Schwamm in der Hand gegen diese Wilden anschimpfen, und sie fasste den Entschluss, eine Anzeige aufzusetzen, um die Bar einem Pächter anzuvertrauen.

An diesem Abend, nachdem sie ihrem Sohn Libero alle wichtigen Neuigkeiten über jedes einzelne seiner Geschwister und dann über die unzähligen Kohorten seiner Nichten und Neffen mitgeteilt und ihn, wie jeden Abend seit seiner Ankunft, gefragt hatte, ob er sich in Paris gut akklimatisiere, teilte ihm Gavina Pintus, kurz bevor sie auflegte, noch mit, dass die Kellnerin der Bar rätselhafterweise das Dorf verlassen hatte. Libero gab es weiter an Matthieu Antonetti, der mit geistesabwesendem Brummen darauf antwortete, dann nahmen sie ihre Arbeit wieder auf und vergaßen umgehend, was eben erst immerhin den Anfang ihrer neuen Existenz markiert hatte. Sie kannten sich seit ihrer Kindheit, nicht jedoch von Geburt an. Matthieu war acht, als seine Mutter, besorgt über seinen äußerst weltfremden und versonnenen Charakter, entschied, dass er eines Freundes bedurfte, um seine Ferien im Dorf genießen zu können. Sie nahm ihn also bei der Hand, nachdem sie ihn in Eau de Cologne getaucht hatte, und zerrte ihn zu den Pintus, deren jüngster Sohn in seinem Alter war. Ihr riesiges Haus zierten die unterschiedlichsten Auswüchse aus Leichtbausteinen, die man versäumt hatte zu verputzen, es glich einem Organismus, der unentwegt an allen Ecken und Enden wuchs, als wäre er belebt von einer vitalen und wilden Kraft, entlang der Fassaden liefen Elektrokabel, die mit offen herunterhängenden Buchsen geschmückt waren, der Hof war angefüllt von Rohren, Schubkarren und Dachziegeln, mit in der Sonne schlafenden Hunden, Zementsäcken und einer beträchtlichen Anzahl unbestimmbarer Gegenstände, die hier darauf warteten, eines Tages den Beweis ihrer Nützlichkeit anzutreten. Gavina Pintus stopfte an einer Joppe, ihr von elf

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