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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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ERSTER TEIL
UNTER DEN GEBEINEN

    PROLOG
    Am zweiten Tag wurde es auch nicht besser. Ein heftiger kalter Regen ging nieder, und die bleiche Sonne verbarg sich hinter den niedrigen grauen Wolken, außerdem hatten sie sich verirrt. Vor allem aber machte ihnen dieses tote Ding zu schaffen, das in einem Baum gehangen hatte und nun ihre Wanderung in eine völlig falsche Richtung lenkte. Sie hatten es alle vier im gleichen Moment entdeckt.
    Kurz nachdem sie über einen der zahllosen umgefallenen Bäume geklettert und in dieses kratzige Gestrüpp geraten waren, stießen sie darauf. Sie waren völlig außer Atem, schweißüberströmt und vom Regen durchnässt, die Müdigkeit hatte ihnen längst die Sprache verschlagen, als sie anhielten. Das Gewicht ihrer Rucksäcke, des Bettzeugs und der nassen Zelte drückte sie nieder. Sie schauten nach oben.
    Das tote Ding hing direkt über ihnen, so hoch, dass ein Mensch im Stehen nicht heranreichen konnte. Es baumelte zwischen den Ästen einer Fichte, war aber so zerfleddert, dass man nicht erkennen konnte, was es einmal gewesen war.
    Gedärme hingen aus einem breiten Brustkorb herab, glänzten bläulich und feucht inmitten des lichten Blätterdachs. Das löchrige Fell war straff über die Zweige gespannt worden. Ein rissiger Saum in der zerknitterten Mitte deutete darauf hin, dass die
Haut vom Rücken her mit einer ruckartigen Bewegung abgezogen worden war. Ein Kopf war in diesem Durcheinander aus Blut und Fleisch zunächst nicht zu erkennen. Bis sie inmitten der violett-roten und gelblichen Masse das kalte Grinsen eines Kiefernknochens bemerkten. Direkt darüber war, glasig und trübe, ein Auge zu sehen, groß wie eine Billardkugel. Drum herum konnte man das Profil eines länglichen Schädels ausmachen.
    Hutch wandte sich seinen Begleitern zu. Er ging immer an der Spitze der Gruppe, wenn sie sich den Weg durch den Wald bahnten, und suchte nach einem Pfad. Es war seine Idee gewesen, hier entlangzugehen. Er war bleich geworden und brachte kein Wort heraus. Der Schock, den er bei diesem Anblick bekommen hatte, ließ ihn seltsamerweise jünger aussehen. Und verletzlich, denn dieses verstümmelte Etwas, das dort über ihren Köpfen hing, war auf ihrem Campingausflug bislang das Einzige, für das er nicht gleich eine Erklärung hatte. Er hatte nicht den blassesten Schimmer.
    Phil konnte ein leichtes Zittern in seiner Stimme nicht verhindern, als er fragte: »Was ist das?«
    Keiner antwortete.
    »Was soll das?«, fragte Dom. »Warum hängt jemand so etwas da oben hin?«
    Der Klang seiner Stimme brach den Bann, und alle begannen durcheinander zu reden. Fragen wurden beantwortet, neue Ideen wurden geäußert. Nur Luke sagte nichts. Während sie sprachen, entfernten sich die anderen von dem im Baum hängenden Ding und zwar schneller, als sie hergekommen waren. Bald schon schwiegen sie wieder, aber ihre Füße machten viel lautere Geräusche als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt ihrer zweitägigen Wanderung. Das lag daran, dass von dem Kadaver kein Geruch ausgegangen war. Das Ding war erst vor kurzem getötet worden.

1
Vier Stunden früher
    Gegen Mittag hielt Hutch an, drehte sich um und schaute zurück zu den anderen. Drei farbenfrohe, verloren wirkende Gestalten tauchten in der nebligen Weite der felsigen Landschaft auf. In gewissem Abstand zueinander bewegten sie sich über die flache Steinwüste, die vor einigen Millionen Jahren von den zurückweichenden Eismassen platt gewalzt worden war. Sie gingen leicht gebückt mit gesenkten Köpfen, schauten zu Boden und setzten monoton einen Fuß vor den anderen.
    Im Nachhinein betrachtet waren eigentlich nur Hutch und Luke fit genug für diese dreitägige Wanderung. Phil und Dom hatten viel zu schweres Gepäck zu tragen, und die Blasen an Phils Füßen waren aufgeplatzt und entzündet. Bedenklicher war noch, dass Dom sich schon am ersten Tag auf einem Geröllfeld das Knie verdreht hatte. Nun, nach anderthalb Tagen, humpelte er immer mehr und stöhnte bei jedem Schritt laut auf.
    Wegen ihrer Blessuren versäumten Dom und Phil alle interessanten Aspekte des Marsches: die plötzlich auftauchenden langgestreckten Moorflächen, die abenteuerlichen Umrisse der Felsformationen, die wunderschönen Seen, die sich hier seit dem Ende der Eiszeit über das Maskoskarsa-Tal verteilten, den Steinadler, der über ihnen kreiste, und den Anblick einer maj estätischen Landschaft, die man so in Europa nicht vermutet hätte. Sogar im
Regen und im dämmrigen Licht war

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