Unterwegs im Namen des Herrn
auf den Tisch und beginne damit, Ketchup und Senf auszuteilen. Eine resolute Pilgerin, deren Gesicht ich sofort wieder vergesse, kümmert sich neben mir um Besteck und Brot, und Rudi legt die Würstel aufdie Teller, die ich ihm reiche. Die hungrige Schar drängt heran. Jim der Amerikaner wirkt skeptisch, greift dann aber doch zu. In einer Atempause erkenne ich, dass Ingo mich meuchlings mit einer gigantischen Ketchupflasche in der Hand fotografiert.
Als sich der erste Ansturm gelegt hat, nehme ich mir mein Paar Würstel. Ingo hat seines schon fertig gegessen und wartet mit einem feinsinnigen Lächeln darauf, dass ich ihn weiter bediene. Ich teile an uns beide aus, wir verschlingen unser zweites Paar binnen einer Minute und eilen Richtung Tankstellencafé. Auf dem Weg entdecken wir die vier Fundamentalistinnen, die sich auf der anderen Seite des Busses von der Gruppe abgesondert haben, ihr Brot kauen und verstohlen nach links und rechts schauen.
»Wem aus diesem Bus würdest du am ehesten einen Mord zutrauen?«, frage ich.
»Dir.«
»Du und ich zählen nicht!«
»Dann muss ich überlegen.«
Ich organisiere zwei Tassen Kaffee plus jede Menge eiskaltes Mineralwasser, und wir setzen uns im Schatten der Tankstelle an einen Tisch neben dem Eingang zur Toilette. Auf diese Weise ziehen wir die Blicke unserer Mitreisenden auf uns, die unterwegs zu den Waschräumen sind. Anfangs mag ich mich ja noch getäuscht haben, aber jetzt wird definitiv über uns getuschelt. Ich frage mich, ob die uns für schwul halten.
»Hast du mitgekriegt, dass der mit der Kappe schon zum dreißigsten Mal runterfährt?«, fragt Ingo und tritt seine Zigarette auf einer herumliegenden Seite aus einer österreichischen Zeitung aus.
»Da könnte ihn der Alte aber ein wenig freundlicher behandeln.«
»Es sind einige Veteranen dabei. Und die Gehbehinderte hat sich aus Argentinien einfliegen lassen. Sie war in Lourdes, in Mariazell, jetzt fährt sie nach Medjugorje, und das alles innerhalb von drei Wochen. Achtzehn Stunden im Flugzeug, hier vierzehn im Bus, keine Ahnung, wie viele nach Lourdes.«
Ich bin zu faul, um nachzufragen, wann genau Ingo an all diese Informationen gekommen ist. Eine Weile gebe ich mich meinen Gedanken hin und versuche zu ergründen, wohin in mir all die Flüssigkeit verschwindet, zumal ich fast nie aufs Klo muss, und als ich zu dem Schluss komme, dass es womöglich am Schwitzen liegt, merke ich, dass ich aufs Klo muss.
Auf dem Rückweg besorge ich eine FAZ und zwei weitere Tassen Kaffee. Als ich an den Tisch komme, stehen da aber schon zwei, die Ingo geholt hat. Ich schlage die Zeitung auf. Der Reiseleiter geht vorbei und nickt uns verkniffen zu.
»Warum schaut der immer so?«, fragt Ingo. »Schaut der immer so?«
Ich lese die Zeitung von vorne nach hinten. Erst Politik, dann Chronik, dann Sport, die Wirtschaft lasse ich aus.
»Na, sieh an«, sage ich, »wusstest du, dass heute Nacht der Perseidenschauer über uns niedergeht?«
»Was heißt das?«
»Dass heute ab 22 Uhr 30 mit vielen Sternschnuppen gerechnet wird, falls der Himmel klar genug ist.«
Eine Viertelstunde vergeht. Niemand sagt etwas. Die Autos rauschen über die Autobahn, ab und zu hält ein Bus.Beinahe könnte ich mich wohl fühlen hier im Schatten, aber ich weiß, ich habe nicht einmal die Hälfte der Fahrt hinter mir, und dann komme ich nicht in irgendeinem mondänen Küstenstädtchen an, sondern in einem bosnischen Wallfahrtsort. Dennoch entspanne ich mich von Minute zu Minute mehr, ich sinke in jenen herrlichen Halbschlaf, von dem man weiß, dass er nicht erlaubt ist und gleich unterbrochen werden wird.
Kurz darauf gellt der Pfiff des Reiseleiters. Ich schrecke hoch. Ingo packt gerade seine Kamera ein. Der Postangestellte kommt mit einem Teddybären aus dem Shop an uns vorbei. Ich frage ihn, ob der Bär für ihn ist. Leider kommt der Scherz nicht an, und er zeigt mir auf dem Weg zum Bus ein wenig beleidigt ein Foto von seiner Tochter. Hinter mir höre ich das Klicken von Ingos Kamera.
3. Kapitel
Misstrauen des Reiseleiters – Radio Maria – Die Bedeutung der Beichte – Das Heiligenvideo – Ingo apathisch – Der Tod des Paters Slavko – Vor uns der Staub von Medjugorje
Gleich nachdem wir losgefahren sind, geht der Reiseleiter durch, um für die Würstel zu kassieren. Ich gebe ihm das Geld.
»Und das Wasser?«
»Welches Wasser?«
»Hast du kein Wasser gehabt?«
»Doch, aber das war mein eigenes.«
»Und was ist das da?«
»Das ist
Weitere Kostenlose Bücher