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Unterwegs im Namen des Herrn

Unterwegs im Namen des Herrn

Titel: Unterwegs im Namen des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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Gebet, Verdammnis, ich weiß nicht, wer sie spricht, der Moderator oder Pater Slavko. Vielleicht bilde ich mir das alles auch nur ein, womöglich bin ich schon verrückt geworden, befinde mich im Fegefeuer, bin vielleicht selbst ein abgetriebenes Kind.
    Ungefähr eineinhalb Stunden verbringe ich dösend. Die ganze Zeit rumort es hinter meinen Schläfen, und die ganze Zeit über beschallt mich Radio Maria. Schließlich wird es doch noch ruhig, und ich stelle fest, dass wir auf einen Parkplatz rollen.
    Ich stehe auf und strecke mich. Ingo liegt mit offenen Augen da und starrt mich an. Ich verkneife mir jeden Kommentar. Es gibt auch nichts zu sagen.
    Kaum sind wir ausgestiegen, saust Ingo zum Tankstellenshop. Ich gehe aufs Klo. Als ich herauskomme, treffe ich Ingo vor dem Gebäude, rauchend und verstört.
    »Die verkaufen mir nichts!«
    »Wieso nicht?«
    »Weil ich keine Kuna habe! Und sie nehmen weder Euro noch Karte!«
    Er wirkt ziemlich aufgelöst, und ich nehme an, er hat sich entweder nicht richtig ausgedrückt oder danebenbenommen. Ich mache mich auf den Weg.
    Der Mann an der Kassa wirkt ansprechbar. Mit den paar Brocken Kroatisch, die mir mein Vater einst beigebracht hat, frage ich ihn, ob ich mit Euro zahlen kann. Er sagt, »Ja klar«. Als ich mit Wasser und Proviant zu Ingo zurückkehre, sieht der mich an, als trüge ich die Monstranz in meinen Händen.
    »Wo hast du das her?«
    »Die Gospa …«
    Er verdreht die Augen und geht zu den anderen Pilgern. Er ist wirklich aufgeschlossener als ich, er möchte sich mit diesen Leuten austauschen. Ich möchte auch, aber ich kann jetzt nicht, Radio Maria hat mich ein bisschen mitgenommen.
    Die Pause ist diesmal kurz. Der Reiseleiter pfeift, und keine fünf Minuten später sind wir wieder auf der überraschend gut ausgebauten Autobahn. Ist eine Weile her, dass ich zuletzt hier war, und damals sahen die Straßen noch anders aus. Ich habe jedoch keine Zeit, mich über die infrastrukturellen Fortschritte in Kroatien zu freuen, denn der Reiseleiter sucht für den nächsten Rosenkranz nach einem Vorbetter.
    »Wir betten auch für die Ungläubigen«, sagt er und streift mich mit einem Seitenblick aus seinen zusammengekniffenen Augen.
    Das Opfer ist diesmal schnell gefunden oder auch nicht, ich bekomme es nicht mit, weil ich mit geschlossenen Augenden iPod gezückt habe und mir die Kopfhörer mit aller Kraft in die Ohren drücke, was die Lautstärke der Musik drastisch erhöht. Als mein Druck einige Minuten später nachlässt, dringt wieder der Chor der Betenden durch die Musik.
    Ich höre »I love New York« von Madonna und denke an Sex. Rosenkranzgemurmel im Hintergrund ist aber nicht gerade förderlich für sexuelle Phantasien, und deshalb lande ich in Gedanken irgendwann bei diesem Buch von Hape Kerkeling, das ich vor einiger Zeit gelesen habe, diesem Buch über den Jakobsweg, den er gegangen ist. Ich habe das Buch nicht besonders gemocht, und zwar wegen seiner glaubensbesoffenen Putzigkeit, die einem fröhlich aus jeder Seite entgegenschallt. Alles ist nett und gut, und wenn es das einmal nicht ist und der kleine Hape frustriert durch Kastilien schreiten muss, dann stampft er kurz mit dem Füßchen auf und murrt ein bisschen in Richtung da oben oder in sich hinein, und wie durch ein Wunder wird einen halben Tag später wieder alles schön.
    Nach zehn Minuten gibt der Akku des iPods den Geist auf. Über das Handy möchte ich nicht Musik hören, denn sollte mir da der Saft ausgehen, wäre ich vom Rest der Welt abgeschnitten, und das halte ich weder in einem Reisebus noch mitten in Wien aus. Lieber versuche ich zu lesen, doch wegen des Geschaukels wird mir bald schlecht. Ich stecke das Buch zurück in die Tasche und starre geradeaus auf die Autobahn, eine Viertelstunde, eine halbe Stunde, eine Stunde, eineinhalb Stunden. Dann steuern wir den letzten Rastplatz vor der kroatisch-bosnischen Grenze an.
    Nicht alle steigen aus, die meisten meiner Mitpilger stieren matt vor sich hin. Ich stolpere ins Freie und streckemich. Der Indianer zündet sich neben mir eine Zigarre an, und zwar eine Siglo V, wenn ich richtig gesehen habe. So etwas raucht man eigentlich nicht kurz mal auf einem Parkplatz.
    »Unglaublich, diese Hitze, nicht?«, sage ich.
    Er nickt und bläst Rauchkringel in die Luft. Der heiße Wind zerfetzt sie sofort. Ich versuche mich zu erinnern, ob ich den Indianer bisher auch nur einmal reden gehört habe.
    Vor uns liegt hügeliges Land, durch das sich die Autobahn

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