Untitled
dreinglotzenden Persers, dessen räudiger Puschelschwanz mitsamt der Rückenmähne gräulich meliert erschien, so alshätte jemand dies Tier für die Wachspolitur seines Autos zweckentfremdet. Die Promenade, die von den Katzen gemieden wurde, weil sie den Hunden gehörte, war beidseitig von Apartmentblocks bestanden, die in einem pseudo Art-déco-Stil erbaut worden waren, was ich recht ansprechend fand. Wie immer grüßte ich die schöne Floristin, die dort auf dem ihrem Ladengeschäft vorgebauten Freiluftarbeitsplatz kleine Kakteen und Kiesel in Blecheimerchen arrangierte, die von ihr selbst bemalt wurden. Nicht allzu groß, schmale Hüften, mit dunklem Pagenkopf und großen, sehr blauen Augen kam sie sehr nahe heran an mein Idealbild; eine Lisbeth Salander ohne Dachschaden. Bis auf: dass sie zwei Hunde – warum ausgerechnet auch noch Möpse! – sich hielt. Vor dem Hippodrom machte ich die mit gelber Sprühfarbe auf den Asphalt schablonierten Parkplatzmarkierungen zu meinem Himmel-und-Hölle-Spiel und landete pfeilgerade auf dem geliebten J. Der Mistral hatte die wenigen Wolken zu länglichen Schleiern zerrieben, dazwischen zogen die Flugzeuge ihre modernen Wolkenstudien ins berühmte Blau des Himmels. Der Strand war schmal, flach, Dünen gab es hier keine – nur stellenweise überhaupt Sand.
Zunächst hielt ich das für etwas aus Plastik, eventuell auch etwas Neues von Haribo, aber erst als ich mich danach bückte, fiel mir auf, wie viele es waren: Hunderte kleiner Mollusken waren bereits angeschwemmt worden und mit jeder Rolle der Brandung kamen weitere nach. Nicht groß, die ausgewachsenen etwa zweier meiner Daumen breit, von rundem Durchmesser, aber vor allem: farblich eine Mixtur aus Purpur und Blau. Erneut musste ich lachen, denn allmählich wurde mir das beinahe unheimlich. Außer mir gab es niemanden in dieser Bucht, der sich um die blauen Kleckse kümmerte, also sammelte ich eineHandvoll davon ein, um sie nach der Trocknung auf der Glasplatte zu reiben. Womöglich, so war es mir ihrer ansichtig werdend ja eingefallen, ersetzen die mir das Azurit, das ich, dem Vorbild Jan van Eycks folgend, als Zwischenschicht unter dem Ultramarinen aufzubringen plante. Wie die Dame Albus wusste, hatte darin eine der lange als geheimnisvoll betrachteten Techniken im Farbauftrag van Eycks bestanden: Sein Blau baute er auf den geschliffenen und mit Firnis appretierten Kreidegrund seiner Leinwände auf, indem er zwei Schichtungen lasierenden Azurits aufbrachte, die von einer Schicht lasierenden Ultramarins versiegelt wurden. Lange Zeit hatte man das Geheimnis von Jan van Eycks Farben in dessen Bindemittel gesucht – dabei wurde allerdings nichts Aufschlussreiches gefunden. Wie die Dame Albus wusste, verwendete der Meister in den unterschiedlichen Schichten der blauen Pigmentmischungen jeweils unterschiedlich grob zerriebene Farbstoffe – wodurch das Auge des Betrachters durch die lasierenden Schichten in das Bild hineingelockt wurde, wo als zuunterst Liegendes, ein Bleiweiß die Farben zum Leuchten brachte. Jan van Eyck hatte mit seiner Malweise vor Hunderten von Jahren das Prinzip des sogenannten Retina Displays vorweggenommen. Weil sich in seinem vermeintlich eintonigen Blau das Licht auf mannigfaltige Weise brach. Mit je nach Tageszeit und Lichtsituation noch einmal ganz anderen Effekten, und immer wieder neu.
Auf dem Rückweg grüßte die schöne Floristin mich zum ersten Mal seit Tagen von sich aus, wobei sie von ihren glotzenden Hunden gerahmt aus ihrer Brüstung ragte. Es gab eine Modemarke, die nicht einmal ich kannte, angeblich aus Paris, deren Logo bestand aus zwei ineinander verschlungenen J – eines leuchtend purpurfarben, das andere gelb –, eine ganze Familie kam mir entgegen, die trugendas Zeugs, und Beiersdorf bewarb auf Plakatwänden ihre Nivearezeptur mit dem Motiv des schönen Paares, das zu jener Zeit in haargenau derselben Pose auch das Debütalbum von Washed Out zierte, darunter, bei Nivea, der Slogan Le soin c’est la vie. Da zog ich mein iPhone aus der Tasche meiner kurzen Hosen und musste erst eine der Mollusken entfernen, die sich auf dem Display festgesaugt hatten, um Julia schreiben zu können: Lass gut sein, bitte, ma chère, parce qu’ ich kann nicht mehr!
Sie schrieb im Handumdrehen zurück: Ich wollte doch nur, dass es dir gut geht, mon cher! Deine J
Mir fiel beim besten Willen nicht ein, ob es irgendwo in der Geschichte schon einmal eine Frau gegeben hatte, die annähernd cool
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