Untitled
reagieren würde, konnte ich mir nicht vo r stellen. Es kümmerte mich aber auch nicht sonderlich.
Die Fotografen waren fertig. Hank Dawsons Leiche wurde for t gebracht. Ich sah nicht hin. Der Sergeant meinte, ich könne gehen.
Schulz schlug vor, wir sollten durch die gepflasterte Gasse zwischen Tattered Cover und dem Janus Building gehen. Sein Wagen stehe auf der Second Avenue, sagte er. Er nahm meine Hand. Seine Hand war warm und rau und war mir sehr willkommen.
»Du warst tapfer«, sagte er. »Verdammt tapfer.«
Die Erinnerung an Hank Dawson, der blutüberströmt, tot auf dem Bürgersteig lag, machte mir weiche Knie. Ich blieb stehen und legte den Kopf in den Nacken, um mir ein paar eisige Schne e flocken in den Mund rieseln zu lassen. Die Luft war kalt, frisch und schneidend. Herrlich. Ich tat einen tiefen Atemzug.
»Da ist eine Sache, die ich nicht herausbekommen habe«, sagte ich. Wir standen auf dem rötlich beleuchteten Durch gang zwischen den beiden Häusern. Die Aktionen der Polizei hatten einige näch t liche Autofahrer veranlasst, an zuhalten. Ich hörte ihre Motoren brummen; aus einem Autoradio klang Musik herüber.
»Eine Sache hast du nicht herausbekommen«, wieder holte Schulz. »Zum Beispiel, was du weiter mit deinem Le ben anfangen sollst.«
»Ja, das …« Eine Brise fuhr mir kalt über die Haut und ließ mich zittern. Schulz zog mich an seine warme Brust.
»Was versteht Miss G. außerdem nicht?«
»Ich weiß, es klingt ziemlich belanglos nach allem, was passiert ist, aber … das Stipendium für Julian. Was hat Hank sich davon versprochen?«
»Ach, nichts.« Tom Schulz küsste mich auf die Wange und u m armte mich ganz sanft, als sei ich zerbrechlich. Im Ra dio spielten sie ein anderes Lied: Moon River. Die bittersüße Melodie drang durch die Schneeluft.
Ich sagte: »Du scheinst dir ziemlich sicher zu sein.«
Schulz seufzte. »Ich bin nur so froh, dass ihr beide, du und Julian, noch lebt …«
»Ja, aber … ist das Geld jetzt weg oder was? Julian muss das doch wissen.«
Er ließ mich los. Schneeflocken trieben mir auf Gesicht und Schultern.
»Das Geld ist nicht weg«, sagte Schulz. »Es ist nicht weg, weil ich es gestiftet habe, und ich habe deine Freundin Maria überredet, mit mir halbe-halbe zu machen.«
»Was?«
Er nahm meine Hand in seine und erklärte: »Ich hätte gedacht, eine findige Detektivin wie Miss G. hätte das her ausbekommen. Ich habe dir gesagt, dass ich nicht weiß, was ich mit meinem Geld a n fangen soll. Zu Julians Glück bin ich ein sparsamer Mensch. Und da ich keine eigenen Kin der habe, hatte ich das Gefühl, das wäre eine feine Sache. Maria mag Julian auch, und sie hat weiß Gott genug Geld. Sie hat gesagt« – er ahmte Marias rauchige Stimme ver blüffend gut nach -: »›Oh, oh, nie im Leben kann ich ein Geheimnis vor Goldy bewahren!‹ Und jetzt sieh nur, wer g e plaudert hat.«
»Ach Gott …« sagte ich und begann zu schwanken. Ich verlor das Bewusstsein. Mein Körper fiel, sackte auf den Bür gersteig, und ich spürte Schulz’ Hände, die mich sanft zu Boden sinken ließen. Es war alles zu viel – Keith Andrews, Suzanne Ferrell, Hank Dawson … überall Tod.
»Du wirst eine Therapie brauchen«, warnte Schulz. »Du hast viel durchgemacht.« Er streichelte meine Wange.
Der Bürgersteig war kalt. Ja, Therapie. Ich hatte zu viel erlebt. Nach all dem Tod stand meine eigene Sterblichkeit drohend vor mir. Was hielt mich eigentlich am Leben? Woran sollte ich noch glauben? Ich hatte Arch, Julian. Ich hatte … Schmerz erfüllte mich. Was hatte ich noch?
Hank Dawson hatte sich verzweifelt eine erfolgreiche Familie gewünscht. Audrey ebenfalls. Und auch die Marenskys. Direktor Perkins mit dem glücklosen Macguire. Und auch ich hatte mir das gewünscht. Wir alle hatten nach Erfolg gestrebt – oder nach dem, was wir uns unter Erfolg vorstellten. Ich hatte ein Bild von John Richard, Arch und mir als glücklicher Familie vor Augen gehabt und war da mit eindeutig gescheitert. Was war so schrecklich schiefgegan gen?
Das war schiefgegangen: meine Vorstellung, Hanks Vor stellung, Carolines, Brads, Macguires … wenn man diese Schulbildung, dieses Geld, dieses was auch immer habe, dann sei man erfolgreich.
Aber eigentlich, dachte ich, als ich auf dem kalten Pfla ster lag und in Schulz’ besorgtes Gesicht sah, war Erfolg et was ganz anderes. Erfolg war eher eine Frage, die besten Menschen zu finden und mit ihnen
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