Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unverstanden

Unverstanden

Titel: Unverstanden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
Vom Netzwerk:
der Mann sich Flaschen und drückte auf das Ventil, bis ein dünner Strahl blauer Flüssigkeit herausschoss, und doch wurde Martin - der in einem Büro arbeitete und bei der Arbeit eine Krawatte tragen musste - als Loser betrachtet.
    »Ich habe Anzeige erstattet«, log Martin. Er stopfte den Rest der Papiere in seinen Aktenkoffer. »Die Polizei nimmt solche Sachen sehr ernst.«
    »Weiß du, zu wem du gehen solltest?« Daryl stand auf, und Martin ebenfalls. »Ben Sabatini. Er hat mir bei meinem Pick-up wirklich sehr geholfen.
Weißt du noch? Ich hatte einen Baum gestreift, der mir diesen dicken Kratzer in den Lack ritzte. Hat die Sache gleich am nächsten Tag bereinigt. Ich bekam einen Chrysler 500 als Leihwagen. Mann, diese Dinger sind vielleicht klasse. Ben hat es sogar hingekriegt, dass ich meine Selbstbeteiligung nicht zahlen musste.«
    Martin stand einfach nur da. Er wusste wirklich nicht, was er sagen sollte. »Wir sollten jetzt an die Arbeit gehen.«
    »Ja«, pflichtete Daryl ihm bei. »Sag Bescheid, falls du Bens Nummer brauchst. Er ist der Beste in dem Geschäft.«
    »Danke«, antwortete Martin und packte den Henkel seines Aktenkoffers so fest, dass er Schweiß seine Finger entlanglaufen spürte.
    Daryl schaute auf Martins Hand hinunter. »Du blutest ja schon wieder, Mann.«
    »Ja«, musste Martin zugeben. »Ich kümmere mich gleich darum.«
    Die beiden Männer gingen ihrer Wege - Daryl zum Fabriktor, Martin zum Bürotrakt. Doch anstatt zu seinem Schreibtisch ging Martin in die Herrentoilette. Er wusch sich die Hände und fragte sich, welche Krankheiten sich dabei wohl auf seine offenen Wunden stürzten. Von den Angestellten wurde erwartet, dass sie selbst hinter sich
her putzten, der Mangel an Sauberkeit war deshalb kaum überraschend.
    In dem Schrank neben der Tür fand er eine Flasche BioPower. Martin sprühte ein wenig auf ein Papiertaschentuch und wischte damit den Henkel seines Aktenkoffers ab. Zu seiner Bestürzung löste sich dadurch das Leder auf. Er hörte sofort auf zu rubbeln, aber die Chemikalie fraß sich weiter in den Griff. Als das Kunstleder sich aufbog und den weißen Knochen des Plastikgestänges darunter enthüllte, musste er an einen Käfer auf einer Leiche denken. Das wäre faszinierend gewesen, hätte Martin nicht fast dreihundert Dollar für diesen Aktenkoffer ausgegeben.
    Vorsichtig berührte er die Kante des Plastikhenkels. Sie war scharf wie ein Messer und konnte durchaus die Haut seiner Fingerkuppe aufritzen. Martin sah zu, wie Blut nun auch aus seinem Finger trat. Tod aufgrund von tausend kleinen Schnitten.
    Martin hatte noch nie gut fluchen können, trotz Evies ausgezeichnetem Beispiel. In sich hinein murmelnd verließ er die Toilette und ging, den Aktenkoffer an die Brust gedrückt, durch die Fabrikhalle. Die Maschinen liefen noch nicht, deshalb konnte er seine Schritte hören. Um Daryl nicht noch einmal über den Weg zu laufen, machte er einen
Umweg entlang einer langen Regalreihe, vorbei an den Plastikstapeln der Sani-Dame Hygienebeutelentsorgungsbehälter, und ging dann zur Hintertür hinaus.
    Hinter dem Gebäude plätscherte ein Bach, hohe Bäume schwankten im Wind. In seinen ersten Jahren bei Southern Toilet Supply hatte Martin oft seine Pause hier verbracht, weil ihm die Einsamkeit gefiel. Jetzt, da Rauchen im Gebäude verboten war, existierte dieser kleine Ort des Friedens nicht mehr. Hier hielt sich jetzt in den Pausen jeder auf, was man an den Abertausenden von Zigarettenstummeln auf dem Betonboden sah. Auf einem klapprigen Picknicktisch standen zwei Kaffeedosen randvoll mit weiteren Kippen. Martin hatte vor einigen Wochen vorgeschlagen, man sollte doch einen Bereich des Platzes für Nichtraucher abtrennen. Sein Vorschlag war genau mit dem Spott aufgenommen worden, der zu erwarten gewesen war. Als er darauf beharrte, dass das Vorschlagskästchen eigentlich anonym sein sollte, war das Gelächter nur noch lauter geworden.
    Für gewöhnlich quoll der Müllcontainer über, es überraschte ihn deshalb, dass er geleert worden war. Martin öffnete den Aktenkoffer, nahm seine Unterlagen, zwei Kulis, seine Visitenkarten und einen gelben Notizblock heraus und legte alles auf
den einzigen einigermaßen sauberen Fleck Beton, den er finden konnte. Er versuchte, die Seitenklappe des Containers zu öffnen, aber sie war zugerostet. Die obere Öffnung war einen guten Meter über seinem Kopf. Martin schaute sich kurz um, stellte sich dann breitbeinig hin und warf den Aktenkoffer wie eine

Weitere Kostenlose Bücher