Unwiederbringlich
denn sie bescheren hier erst in der Frühe. Zwei Tage, das geht nicht, womit soll ich die zubringen? Das ist eine kleine Ewigkeit, und ich bin nicht in der Stimmung, inzwischen Wirtschaftsbücher zu revidieren und über Raps und Rübsen zu sprechen. Und zu Petersen? Er würde mir ins Gewissen reden und doch nichts zustande bringen. Und dann ist auch mutmaßlich Christine noch da; sie wird unten Station gemacht und einen Boten nach Arnewiek geschickt haben, und Alfred wird kommen und sie abholen. Ich habe nicht Lust, dabei zugegen zu sein oder auch nur in der Nähe. Nein, ich will lieber nach Flensburg hinüber, vielleicht geht heute noch ein Kopenhagener Schiff. Und wenn auch nicht,
hier
kann ich nicht bleiben; ich muß fort.«
Und er zog die Klingel. »Sage, daß Johann anspannt. Den kleinen Wagen und die Ponies. Ich will nach Flensburg.«
Es schlug drei, als Holk in Flensburg einfuhr, und bald danach hielt er vor dem Hillmannschen Gasthause, darin er, bei seinen häufigen Anwesenheiten in der Stadt, regelmäßig Wohnung zu nehmen pflegte. Der Wirt war einigermaßen überrascht, ihn zu sehen, bis er erfuhr, daß der Graf, dessen Stellung am Hofe der Prinzessin er kannte, nur auf kurzen Urlaub in Holkenäs gewesen sei.
»Wann geht das nächste Kopenhagner Schiff, lieber Hillmann?«
Hillmann holte die Tabelle herbei, darauf Abfahrt und Ankunft der Dampfer genau verzeichnet waren, und glitt mit dem Finger über die Rubriken hin: »Richtig, Iversens Schiff ist an der Reihe und müßte morgen fahren. Aber der 24. fällt aus; das ist altes Herkommen, und Iversen, der bei seiner Tochter wohnt und schon Enkel hat, wird an dem Herkommen nichts ändern; er steht am Christabend auch lieber unterm Weihnachtsbaum als auf Deck. Ist aber sonst ein guter Kapitän, noch einer von den alten, die von der Pike an gedient haben. Er fährt also den 25., ersten Feiertag, sieben Uhr abends.«
»Und kommt an?«
»Und kommt an in Kopenhagen zweiten Feiertag früh. Das heißt um neun oder vielleicht auch eine Stunde später.«
Holk zeigte sich wenig erbaut von dem allen, und nur wenn er an Holkenäs zurückdachte, war er doch herzlich froh, die lange Zeit von mehr als zwei Tagen in Flensburg verbringen zu können. Er bezog ein Zimmer im zweiten Stock, das auf den Rathausplatz hinaussah, und nachdem er mit leidlichem Appetit – denn er hatte seit dem Abend vorher so gut wie nichts genossen – eine verspätete Mittagsmahlzeit eingenommen, verließ er das Gasthaus, um an der Flensburger Bucht hin einen langen Spaziergang zu machen. Erst herrschte Dämmerung; aber nicht lange, so zogen im winterlichen Glanze die Sterne herauf und spiegelten sich auf der weiten Wasserfläche. Holk fühlte, wie der auf ihm lastende Druck von Minute zu Minute geringer ward, und wenn er sich auch nach wie vor keineswegs in einem Zustand von Seelenruhe befand, so galt das, was ihm von Unruhe verblieb, doch mehr der Zukunft als der Vergangenheit und hatte vorwiegend den Charakter einer gewissen erwartungsvollen Erregung. Er malte sich allerlei anheimelnde Bilder aus, wie sie spätestens der nächste Mai heraufführen sollte. Bis dahin mußte alles geordnet sein; die Hochzeit war festgesetzt, und er sah sich in der von Menschen überfüllten Hilleröder Kirche. Schleppegrell hielt die Traurede; die gute Pastorsfrau war ergriffen von der Beredsamkeit ihres Gatten, und Doktor Bie freute sich, daß mit Hülfe einer schönen Schwedin ein schleswig-holsteinisches Herz für Dänemark erobert worden sei. In der kleinen Hofloge aber paradierte die Prinzessin, neben ihr die Schimmelmann und hinter beiden Pentz und Erichsen. Und dann verabschiedeten sie sich von Hilleröd und der Gesamtheit der Brautzeugen und fuhren in einem Extrazuge nach Kopenhagen und am selben Abend noch nach Korsör und Kiel, und in Hamburg war erste Rast. Und dann kam Dresden und München und dann der Gardasee mit einem Ausfluge nach Mantua, wo sie sonderbarerweise den Wallgraben, in dem Hofer erschossen wurde, besuchen wollten, und dann ging es immer südlicher bis nach Neapel und Sorrent. Da sollte die Fahrt abschließen, und den Blick rechts nach dem Vesuv und links nach Capri hinüber, wollt er die quälerische Welt vergessen und sich selbst und seiner Liebe leben. Ja, in Sorrent! Da war auch eine so prächtige Bucht wie die Flensburger hier, und da schienen auch die Sterne hernieder, aber sie hatten einen helleren Glanz, und wenn dann die Sonne den neuen Tag heraufführte, da war es eine
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