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Unwiederbringlich

Unwiederbringlich

Titel: Unwiederbringlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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wirkliche Sonne und ein wirklicher Tag.
    So kamen ihm die Bilder, und während er sie greifbar vor sich sah, flutete das Wasser der Bucht dicht neben ihm, ernst und dunkel, trotz der Lichtstreifen, die darauf fielen.
    Erst zu später Stunde war er wieder in seinem Gasthaus, und unter Lesen und gelegentlichem Geplauder mit Hillmann verging ihm der andere Tag. Als aber der Abend hereinbrach, trieb es ihn doch hinaus, durch die Straßen und Gassen der Stadt, und überall, wo die Fensterläden noch offen oder nicht dicht geschlossen waren, tat er einen Blick hinein, und vor mehr als einem Hause, wenn er das Glück da drinnen und das Kind auf dem Arm der Mutter sah, und wie der Vater seiner Frau die Hand entgegenstreckte, wandelte ihn doch plötzlich eine Furcht vor dem Kommenden an, und auf Augenblicke stand nur all das vor ihm, was er verloren hatte, nicht das, was er gewinnen wollte.
    Welch Heiligabend! Aber er verging, und nun war erster Feiertag, und so langsam sich seine Stunden auch hinschleppten, endlich war doch sieben Uhr heran, und die Schiffsglocke läutete. Holk stand neben dem alten Kapitän, und als man eine Stunde später in freies Fahrwasser kam, ließ sich schon ungefährdet ein Faden spinnen, und Iversen erzählte von Altem und Neuem. Es war eine schöne Fahrt, dazu eine milde Luft, und bis über Mitternacht hinaus stand man unter dem Sternenhimmel und berechnete, daß man mutmaßlich eine halbe Stunde vor der Zeit in Kopenhagen eintreffen werde. Dazu beglückwünschte man sich, und gleich danach zogen sich die wenigen Passagiere, die die Fahrt überhaupt mitmachten, in ihre Schlafkojen zurück. Aber bald änderte sich das Wetter draußen, und als man um fünf Uhr in Höhe von Möen war oder doch zu sein vermeinte, da war der Seenebel so dicht geworden, daß man das Feuer unter dem Dampfkessel ausgehen und die Anker fallen lassen mußte. Die Stille, wie gewöhnlich, weckte die Schläfer, und als man eine Viertelstunde später auf Deck kam und nach der Küste von Seeland hinüberschauen wollte, hörte man von dem Mann am Steuer, daß das Schiff festliege.
    »Wie lange?«
    »Nun, Mittag wird wohl herankommen.«
    Und Mittag war auch wirklich vorüber, als der Nebel endlich wich und die Fahrt wieder aufgenommen werden konnte. Verlorener Tag und von einem Vorsprechen im Palais der Prinzessin keine Rede mehr. Die Laternen brannten schon überall am Hafen, als man bald nach fünf an der Dampfschiffsbrücke anlegte.
     
    In seiner Wohnung wurde Holk, statt wie gewöhnlich von Brigitte, diesmal von der alten Frau Hansen empfangen; sie ging ihm voran die Treppe hinauf und zündete die Lampen an, ohne nach etwas anderem als nach dem Wetter zu fragen, und ob er eine gute Fahrt gehabt habe. Davon, ob die Frau Gräfin bei guter Gesundheit gewesen und ob das Christfest froh und glücklich verlaufen sei, davon war mit keinem Worte die Rede, und als Holk seinerseits erst nach dem Befinden der beiden Hansenschen Frauen und dann nach dem der Prinzessin frug, antwortete die alte Hansen in jenem eigentümlichen Unschuldston, worin sie der Tochter womöglich noch überlegen war: »Das
Fräulein
ist wieder außer Bett.« Es kam so heraus, daß es selbst Holk auffiel, er war aber in diesem Augenblick von viel zuviel andern Dingen in Anspruch genommen, um seinerseits einen Gegenzug zu tun, und so ließ er's denn gehen und bat nur um die Zeitungen und einen guten Tee. »Denn ihn fröstle von dem langen Stehen auf Deck.« Die Hansen brachte beides. Der Zeitungen waren der Festtage halber nur wenige; Holk flog sie durch und ging dann früh zu Bett. Er schlief auch gleich ein, denn die letzten Tage hatten seine Nerven erschöpft.
    Bei guter Zeit war er wieder auf. Frau Hansen (Brigitte ließ sich auch heute nicht sehen) brachte das Frühstück, und weil sie fühlen mochte, den Abend vorher zu weit gegangen zu sein, befleißigte sie sich der größten Unbefangenheit und trug ihren Stadtklatsch harmlos und mit so viel glücklicher Laune vor, daß sich Holk nicht bloß seinem Mißmut über die voraufgegangene Perfidie der Alten, sondern zu seiner eigenen Überraschung auch seiner trüben Stimmung zu gutem Teil entrissen sah. Alles, auch das Heikelste, gewann in der Erzählung der guten Hansen etwas durchaus Heitres und durchaus Selbstverständliches, und als sie wieder fort war, war es ihm, als ob er eine freilich nicht sehr moralische, dafür aber desto lebensweisere Predigt über das, was Leben sei, vernommen habe. Wenn er das eben

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